Antarktis 2020
sich viel berichten und traf dann logische, ausgewogene Entscheidungen. Ihr erstes Gespräch führte sie mit Kenneth, danach eines mit Oberst Rijsdijk. Das Ergebnis war die Bildung eines Leitungskollektivs innerhalb der militärischen Einheiten, das dem zivilen Leitungskollektiv gleichgeordnet war. Nach einer Woche hatte sie ein Rapportsystem eingeführt, das ihr Überblick gab und dem Leitungskollektiv die Gewißheit, notwendig und anerkannt zu sein. Proz wurde zum Berater und Variantenspieler.
Und Thomas Monig war der wissenschaftliche Mitarbeiter dieser Frau.
Am zweiten Tag nach seiner Rettung saß Thomas an einem kleinen Tisch in der Direktion und erwartete Neuber. Er sollte eine exakte Übergabe der Geschäfte vorbereiten, und ihm war alles andere als wohl.
Neuber schien ausgeglichen. Er begrüßte Thomas mit Handschlag, setzte sich und nahm die angebotene Erfrischung wie jemand an, der zu einem freundlichen, aber inhaltlosen Höflichkeitsbesuch erscheint.
Thomas war unsicher. Er hatte die Begegnung gut vorbereitet. Von Proz hatte er sich alle Vorgänge ausgeben lassen, die noch zu erledigen waren, er hatte die Pläne vorliegen, das Kaderprogramm. Er brauchte zu all dem Neubers Meinung und Auskunft über das, was bereits eingeleitet war. Er brauchte einen aufgeschlossenen Neuber, einen, der der Sache zuliebe Persönliches verdrängte. Würde es so werden?
Thomas meinte die Fronten klären zu müssen. Als Neuber sein Glas abgestellt hatte, begann er, und er fiel, aus seiner Unsicherheit heraus, in das steifere Sie: »Kollege Neuber, ich bitte Sie um Verzeihung…« Neuber schaute überrascht hoch. »Es war nicht meine Absicht«, fuhr Thomas fort, »ich habe jemandem außerhalb des Kombinats telefonisch einiges mitgeteilt, ja! Aber alles andere war Zufall. Ich habe das nicht gewollt…«
Neuber lächelte. »Natürlich hast du das gewollt, das Ergebnis, meine ich«, sagte er, und es schien Thomas, er war auch innerlich gefaßt. »Daß sie es erfahren haben und wie – spielt doch keine Rolle mehr. Laß die Toten ruhen, Junge. Ich bin heute so weit, daß ich glaube, es war gut, wie es gekommen ist…«
Neuber war aufgestanden und zum Bullauge getreten. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben und beulte sie so aus, daß die Nähte knackten. »Weißt du«, sagte er, und er hielt den Blick nach draußen gerichtet, »ich habe in meinem Leben vieles falsch gemacht, denke ich. Und manch einer braucht eben lange, bis er das einsieht. Ich glaube, ich beginne es jetzt zu begreifen… Und ich möchte, daß auch du, gerade du es begreifst, weil ich deine Akte kenne, deine Geschichte in TITANGORA und überhaupt.
Ich will damit nicht sagen, daß du eine ähnliche Entwicklung nehmen könntest wie ich, das ist absurd, weil dein Leben bisher ganz anders verlief als das meine, aber ich glaube, du neigst dazu, dich in Dinge zu verrennen…
Weißt du, wie ich hierher kam?« Er sah nicht, wie Thomas, ohne einen Blick von ihm zu wenden, den Kopf schüttelte, sondern sprach einfach weiter: »Du mußt wissen, ich war ein guter Soldat, Berufssoldat. Als die Abrüstung kam, hatte ich eine Stelle in unserer Braunkohlenindustrie. Ich habe dort sogar die Schleifen um die letzten Briketts aus Braunkohle, die in der Welt produziert wurden, geschlungen…
Während meiner Zeit im Braunkohlenkombinat, es waren genau sechzehn Monate, lernte ich meine Gefährtin richtig kennen, mit der ich schon sieben Jahre lebte und einen Sohn hatte. Es ist eben ein Unterschied, ob man täglich mit jemandem zusammen ist oder nur alle vierzehn Tage zu den Wochenenden, wie es mir beim Armeedienst ging. Das solltest du bedenken, wenn es bei dir einmal soweit ist…« Neuber wanderte zum nächsten Bullauge…
Thomas hatte sich bequem gesetzt. Er war überrascht. Das war nicht der Neuber, den er kannte.
Neuber sprach schon weiter: »Die Frau, die ich für den Inbegriff einer Lebensgefährtin hielt, entpuppte sich plötzlich als begeisterungsunfähig, als berechnende und vielfach nörgelnde Durchschnittsfrau, die zudem noch stetig erkaltete…
Heute…« Neuber machte eine Pause, er hatte den Kopf gesenkt und starrte auf den Teppich, dann fuhr er fort: »Heute sehe ich auch das anders…« Er setzte sich in den Sessel, der unter einer großen Grünpflanze in einer Ecke des Raumes stand. Die Beine reckte er weit von sich, und den Kopf hatte er oben auf die Lehne gelegt.
»Damals – Quatsch, es ist gerade fünf Jahre her – lief ich
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