Antarktis 2020
erinnerte sich der Stunden, in denen er auf der Terrasse seines Hotels gesessen hatte, eigentlich Stunden des Nichtstuns, der Erholung, und es gab so viel zu sehen. Er hatte Ausblick auf den breiten »Boulevard der Einheit«. War dieser Boulevard schon eine Augenweide – ein Wechselspiel zwischen beinahe zierlich verarbeitetem Beton, Glas und Plaste, Fontänen und exotischem Grün –, so zogen ihn die Menschen erst recht an. So hatte sich Thomas das heutige Afrika vorgestellt, es aber in diesem kleinen Flecken – nach der Karte, auf der er ihn aufgesucht hatte – nicht vermutet.
Und was war das für ein Nachmittag – ein wenig verrückt, aber schön! Thomas lächelte. Er erinnerte sich, wie er sich – auf seine Frage nach den Sehenswürdigkeiten der Stadt – über das Angebot der hübschen, sehr freundlichen Serviererin vom Restaurant seines Hotels gefreut hatte, mit ihr ihren freien Nachmittag zu verleben. Sie ging modern angezogen, in einem lindgrünen, mit Silberfäden durchzogenen knappen Kleidchen, das herrlich mit dem Schokoladenbraun ihres Körpers kontrastierte. Und dort, wo sie singenden, tanzenden Touristengruppen in ihren Volkstrachten zusahen – und deren gab es viele in Timbuktu –, begannen ihre Schultern, ihre Beine scheinbar von selbst im Rhythmus zu zucken.
Thomas wurde von der Freude, die überall herrschte, angesteckt. Er spendete den Gauklern Beifall, kaufte für einen großen Teil seiner Francs – am Kanal würde er sie ohnehin nicht brauchen – von fahrenden Händlern Ketten aus Muscheln und Käferpanzern.
Christin, seine Begleiterin, zog ihn hierhin und dorthin, lachte, wenn er sich freute, machte ihn auf nationale Besonderheiten aufmerksam.
Sie waren mittendrin im Trubel. Die Menschen quirlten durcheinander, und das an einem normalen Wochentag, sie lärmten und lachten.
Später saßen sie in einer Cafeteria, unmittelbar am »Boulevard der Einheit«. In beiden Richtungen strömten die Menschen vorbei. Das war aber kein Hasten, waren keine abgespannten, müden Gesichter. Thomas hatte plötzlich das Empfinden: Was hier die Gesichter der Menschen ausstrahlten, das war erfülltes uraltes Sehnen der afrikanischen Völker. Als er es Christin mitteilte, lachte sie nur mit strahlendweißen Zähnen. Aber ihr Gesicht sagte es auch…
Auch die nächsten Tage hatte Thomas dieses Empfinden gehabt, als er stundenlang auf der Terrasse saß und nicht müde wurde, das bunte Treiben zu beobachten.
Aus dem Trubel des Boulevards strömten Entspannung und eine ruhige Freude auf ihn über, vielleicht auch deshalb, weil er mit dabei war, dieses Land noch schöner, seinen Bewohnern noch mehr Freude zu machen.
Und hier? Nur fünfhundert Kilometer weiter schien die Zeit stehengeblieben zu sein.
Na wenn schon! Thomas streifte das verschwitzte Hemd ab. Die Union schafft das auch. Die afrikanischen Staaten hätten sich eben früher auf das besinnen sollen, was sie verbindet. Die Westafrikanische Union wäre dann nicht erst fünfzehn Jahre alt. Das, was sie jetzt durch Kooperation schaffen, reicht noch nicht.
Und dann sind das wohl hauptsächlich die Tuareg, die hier leben, die ehemaligen Herren der Wüste, die die zentrale Sahara beherrschten. Jedes Dorf ein Staat…
Thomas war geneigt, sich über den Ernst in Renés Worten hinwegzusetzen. Sentimentalitäten. Er war sich aber auch im klaren, daß er nicht über ausreichende Kenntnisse verfügte, um sich ein Bild zu machen. Er wußte nur, daß sich die Einwohner dieser Sahara-Oasen wesentlich von denen der Städte unterschieden. Sie pflegten bedingungslos alte Bräuche, schienen stolz und waren arm, Fremden gegenüber freundlich, aber zurückhaltend. Thomas erinnerte sich, sogar noch Männer gesehen zu haben, die mit verhüllten Gesichtern gingen, wie es einer uralten Sitte der Tuareg entsprach. Außerdem waren sie noch fest im Islam verwurzelt…
Thomas zuckte die Achseln. Schließlich sind wir hier, dachte er, um auch ihnen zu helfen. Oder wozu diente sonst dieser riesige Kanal? Wozu fördern wir Wasser aus unseren Bohrungen und untersuchen die durchbohrten geologischen Schichten auf Bodenschätze? Ihnen wird das alles einmal gehören.
René stand – am ganzen Körper braungebrannt – unter der Brause. Die schwarzen Haare lagen wassersträhnig über dem Gesicht. Er lachte, und seine Zähne strahlten weiß. »Das einzig Wahre hier«, rief er prustend.
»Sag, René, was haben sie gegen uns?« fragte Thomas, und er drehte sich ebenfalls eine Dusche
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