Antarktis 2020
noch zwei Stunden gearbeitet, hatten in Hast ihr Meßgerät verladen und waren aufgebrochen.
Einmal hatte Thomas daran gedacht, eine Funkverbindung herstellen zu lassen und zu fragen, wer ihn besuche. Er fürchtete aber den Spott der Bohrmannschaft und ließ es sein.
Der Kompressor sang einschläfernd. Aber Thomas dachte nicht an Schlaf, er war unruhig. Immer wieder sah er nach dem Tacho und der Uhr. Ein LUMO hätten wir nehmen sollen, dachte er. Dabei lächelte er vor sich hin. Wenn ich gewußt hätte, daß Evelyn kommt, hätte ich zeitig darum gebeten. Aber die Vermesser fahren eben mit Sandmobilen, weil das praktischer ist.
René richtete sich auf, sah nach links, beugte sich vor, weil Thomas ihm im Wege saß, und sagte: »Dort, etwa acht Kilometer nördlich von hier, liegt es.«
»Was?« fragte Thomas.
»Na, Achourat«, antwortete René.
»Ah.« Thomas sah ebenfalls in die angegebene Richtung. Am Horizont hob sich in der flimmernden Luft ein dunkler langgestreckter Hügel ab. Thomas erinnerte sich plötzlich der vielen Fahrten mit der Eisenbahn während eines Zwischenpraktikums in Thüringen. Dort waren auch von weitem solche Hügel zu sehen, die dann zu Wäldern wurden, nur daß dazwischen wogende Felder, grün oder gelb, lagen, und hier war nichts als schmutziggrauer Sand, durchsetzt mit Gesteinsflächen. Der Hain hob und senkte sich im Geflimmer der Hitze.
»Ist sie schön, die Oase Achourat?« fragte Thomas in der Absicht, das Thema beizubehalten, denn René hockte schon wieder zusammengesunken da, vielleicht aber wollte er auch nur schlafen.
»Was heißt schön. Sie ist wie jede andere. Nur…. für mich ist es die schönste…«, setzte er leise hinzu.
»Erzähl schon«, drängte Thomas.
René saß jetzt aufrecht. Und dann begann er: »Ich war noch keine drei Wochen hier, da schickten sie mich mit einem SAMO, einem von den ersten, zum Camp des ersten Bauabschnittes, mit einer Ladung Bohrkronen. Umsehen sollte ich mich dort. Der erste Bauabschnitt stand damals etwa zweihundert Kilometer nördlich von Timbuktu. Und bis dahin lag auch das Leitkabel. Das habe ich natürlich ignoriert, es war meine erste Wüstenfahrt in einem so starken Fahrzeug. Das reizt, verstehst du? Außerdem brauchte ich nur dem fertigen Kanal nach zu fahren. Im Camp blieb ich einen Tag, und dann wollte ich die gesamte Strecke abfahren, bis zum Abschnitt zwei. Drei gab es damals noch nicht. Ich wollte die 1200 Kilometer, die der Kanal lang wird, nicht auf einen Ritt fahren. Im Camp dachten sie, ich kehre nach Timbuktu zurück. Na, du ahnst es schon. Etwa dort, wo wir vorhin aufbrachen, streikte das SAMO. Nachdem ich einige Zeit vergeblich versucht hatte, es in Gang zu bekommen, entschloß ich mich etwa zwei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit, es zu reparieren. Ich nahm den Kompressor auseinander, fand den Defekt und ging beruhigt schlafen mit der Gewißheit, daß ich am nächsten Tag nach einer Stunde wieder aufbrechen konnte.
Ich hatte mich schrecklich erkältet in dieser Nacht. Unerfahren, wie ich war, hatte ich mich nicht auf Temperaturen eingerichtet, die nahe dem Nullpunkt lagen. Ich hatte ja gar nicht übernachten wollen. Nach sehr unruhigem Halbschlaf erwachte ich mit Kopfschmerzen und leichtem Fieber.
Und dann sah ich die Bescherung: In der Nacht war ein Samum aufgekommen. In der hermetisch schließenden Kabine hatte ich davon nichts bemerkt. Es war ein leichter Samum, und doch war er am Morgen schon heiß und wirbelte den feinen Sand zwei bis drei Meter hoch auf. Im Nu hatte ich Sand im Mund, in den Augen und überall.
Erschrocken stand ich vor den Teilen des Kompressors, die ich am Abend vorher, nachdem ich den Defekt behoben hatte, liegen ließ, das heißt, ich stand vor dem, was davon noch zu sehen war. Das meiste war eingeweht. Der offenstehende Motorraum war voller Sand.
Nun wäre das alles halb so schlimm gewesen, wenn es jemandem dreißig Jahre früher passiert wäre, damals, als solche Fahrzeuge noch mit Benzin fuhren oder mit dem Zeug, wie heißt es, Dieselöl, mit dem heute noch Panzer oder auch einige der U-Boote in New Maori fahren. Ich hätte etwas darum gegeben, wenn ich mit einem solchen militärischen Räumer oder Dumper gefahren wäre, die sie beim Kanalbau haben. Aber so ein Sandmobil ist modern, das fährt mit einer Brennzelle.
Kannst du dir vorstellen – die öligen Teile und der feine Sand? Und immer wieder neuer, vom Samum herangetragener Sand?
Ich schwitzte, fluchte, wischte, hatte Hunger
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