Antarktis 2020
ihr ein Schläfchen?« fragte der zweite. »Aber im Ernst, ihr müßt hier weg«, fügte er hinzu. Nicht nur weil sie englisch sprachen, glaubte Thomas in ihnen Engländer zu erkennen. Sie hatten zum Teil englische Uniformen an.
»Schon klar«, antwortete Thomas. »Ich bin ein Neuer, habe mir bloß eure Wüstenfurche mal angesehen.«
»Na, gefällt sie dir?« fragte der erste. Er ging auf den Frotzelton ein.
»Wenn schon Wasser drin flösse, wär’s mir lieber!« Thomas zupfte ostentativ an seinem schweißdurchfeuchteten Hemd.
»Wasser!« Der Kanalarbeiter winkte übertrieben geringschätzig ab und sagte, und es schwang trotz des scherzhaft Prahlerischen in seiner Stimme Stolz: »Macht hier einen Bogen«, er zeigte mit der Hand um die jetzt schon ganz nahen Schrapper herum, »und fahrt in der Spur. Drei Kilometer von hier ist der Sperrdamm. Dahinter hast du dein Wasser, das vom Niger und das aus den Bohrungen. Aber dort hast du auch Palmen, kleine natürlich, und Gebüsch gegen den verfluchten Sand, verstehst du?« Er spuckte demonstrativ aus. »Das ist was!«
»Er will hier nämlich siedeln«, sagte der andere und zeigte mit dem Daumen auf seinen Gefährten. Thomas war nicht klar, ob er im Scherz oder Ernst sprach.
Vor dem Bug des SAMO stand der Schrapper. Der Fahrer schwang sich aus der Luke und schlenderte gemächlich näher.
Er stammte aus Asien. Vielleicht ein Japaner? dachte Thomas. Er wußte, daß China seine ehemaligen Militäreinheiten hauptsächlich in nationalen Vorhaben eingesetzt hatte.
»Was ist?« fragte der Ankömmling. Er hatte ein rundes Gesicht, zu dem der verschmitzte Augenschnitt vorzüglich paßte. »Soll ich eure Sandlinse in den Boden drücken, oder zieht ihr es vor zu verschwinden?
Es sei denn, ihr ladet mich zum Kaffee ein.« Er lachte breit. Mit einem frischen Taschentuch wischte er sich mit Sandstaub vermengten Schweiß aus dem Gesicht.
Es ist bestimmt nicht angenehm, dachte Thomas, bei diesen Außentemperaturen in einem Panzer zu sitzen.
Dann fragte der Mann, und erst jetzt fiel Thomas auf, daß sein Englisch ein wenig holperte: »Wie sieht es aus, vorn?«
Noch bevor Thomas antworten konnte, sagte René: »Wie soll’s aussehen? Der Bohrverlauf ist normal.« Der Fahrer kniff die ohnehin schon schmalen Augen noch enger zusammen. Dann lachte er. »Ein Schlauberger«, entgegnete er. »Denkst du, weil unsere Eisenkisten solchen Radau machen und wir vier Stunden am Tag drin sitzen, hören wir nichts?«
»Es läuft wirklich normal – noch«, fühlte sich Thomas verpflichtet zu sagen. Er verstand die Objektleitung nicht. War man etwa so erhaben über die zugegeben unzeitgemäße Haltung eines Dorfes? Und auch zugegeben, wie lange konnte sich solch ein Nest schon einem so zukunftsträchtigen Objekt wie dem Kanal verschließen? Thomas dachte einen Augenblick an Neuber. Aber Neuber war hier nicht Direktor, und es war einfach absurd, einem zweiten derartigen Leiter begegnen zu wollen. Sollte keine vorzeitige Unruhe entstehen, war man der Meinung, zum gegebenen Termin sei auch das geklärt?
Thomas sah in die Gesichter der drei Männer. Sie hatten Sand in den Augenwinkeln, waren braun, offen und freundlich. Denen kann man das aber sagen, denen müßte man etwas sagen, und die anderen sind gewiß nicht anders, das Gros. Dann dachte Thomas, wie kompliziert es war, die fünf Schichten zu organisieren, wie beschränkt die Möglichkeiten in solchen Wandercamps waren. Mußte da nicht alles, auch die Information, auf das Notwendigste reduziert werden? »Ich bin aber auch der Meinung, daß etwas getan werden sollte«, setzte Thomas seinen begonnenen Satz fort. René zuckte dazu mit den Schultern. »War was?« fragte der Schrapperfahrer hartnäckig. »Ein paar Schreckschüsse aus Schrotflinten haben sie abgegeben.« Thomas winkte ab. Und wie steht’s mit der eigenen Ehrlichkeit? dachte er. Warum sage ich, daß es Schreckschüsse waren?
Sein Gesprächspartner konterte auch schon: »Da muß das neulich, bei der ersten Kernsprengung, doch wohl ein Picknick gewesen sein, das die Blauschleier auf der Trasse schier zufällig abgehalten haben.
Und wir Dussels hätten beinahe angenommen, daß sie die Sprengung verhindern wollten.«
Als Thomas verständnislos blickte, erläuterte René: »Zwanzig Stunden haben dort im Sprenggebiet drei Tuaregfamilien gelagert…«
»Und verschwanden erst, als wir ihre Leute, die ihnen Wasser bringen sollten, ganz strikt abgefangen haben«, ergänzte der Japaner
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