Anthropofiction
wären in der Lage, uns Wasser auf diese Weise zu servieren?« Er hielt eine der Kugeln hoch.
»Wer könnte es sein?«
»Ich weiß es auch nicht. Bezeichnen Sie sie als Marsbewohner – das entspricht am ehesten der menschlichen Fantasie.«
»Warum Marsbewohner?«
»Nur so. Ich meine, das ist die bequemste Vorstellung.«
»Wieso bequem?«
»Weil sie uns vor dem Trugschluß bewahrt, uns die se Wesen als menschlich auszumalen – was sie ganz gewiß nicht sind. Sie sind auch keine Tiere. Sie sind hochintelligent. Viel schlauer als wir. Marsbewohner.«
»Aber … aber warten Sie einmal. Warum nehmen Sie an, daß Ihre X-Leute nichtmenschlich sind? Warum könnten es nicht Menschen sein, die der Wissenschaft ein Stück voraus sind? Neue Forschungsergebnisse?«
»Das ist eine gute Frage«, antwortete Graves. »Ich will Ihnen eine gute Antwort geben. Weil in der gegenwärtigen globalen Situation, in einer Atmosphäre friedlicher Zusammenarbeit, jeder weiß, wo die besten Köpfe sitzen und was sie gerade anstellen. Solche wissenschaftlichen Resultate würden nicht lange verborgen bleiben. X verfügt offensichtlich über ein halbes Dutzend Kenntnisse, die jenseits unserer Wissenschaft liegen, und um sie aufzuarbeiten, benötigen wir viele Jahre Arbeit von einigen Dutzend der besten Forscher. Kurz gesagt, folglich handelt es sich um nichtmenschliche Wissenschaft.«
Er fügte hinzu: »Natürlich, sollten Sie allerdings an ein geheimes Laboratorium und einen wahnsinnigen Professor glauben, kann ich dazu nichts sagen. Schließlich schreibe ich ja nicht für eine Illustrierte.«
Bill Eisenberg schwieg ziemlich lange, während er die Argumente mit seinen eigenen Erfahrungen verglich.
»Sie haben recht, Doc«, gab er endlich zu. »Sie hatten bisher meistens recht, wenn wir diskutierten. Es müssen Marsbewohner sein. Nein, ich meine nicht, daß sie auf dem Mars wohnen; ich meine, es handelt sich um eine Form intelligenten Lebens aus dem Weltraum.«
»Mag sein.«
»Aber eben haben Sie das behauptet!«
»Nein, ich sagte, es sei eine bequeme Art der Betrachtung.«
»Aber es muß so sein, überdenkt man alle Möglichkeiten.«
»Negative Auslese ist ein unsicherer Weg, zum Kern der Dinge zu stoßen.«
»Worum sollte es sich sonst handeln?«
»Mmmm es fallt mir schwer, meine Gedanken darüber zu formulieren. Aber es gibt gewichtigere Gründe als wir bisher erwogen haben, weshalb wir es mit nichtmenschlichen Existenzen zu tun haben müssen. Psychologische Gründe.«
»Welche?«
»X behandelt Gefangene nicht auf die Weise, wie sie menschlichen Plänen und menschlichen Verhaltensweisen entspringen würde. Denken Sie nach.«
Die beiden Männer hatten eine Menge zu diskutieren, mehr als nur über X, obwohl das ein Gegenstand war, auf den sie immer wieder zurückkamen. Graves gab Bill eine einfache, gedrängte Schilderung, wie er in die Kanaka-Säule gelangt war – ein Bericht, der mehr verschwieg als er aussagte. Eisenberg fühlte sich plötzlich sehr gering, als er seinen älteren Kollegen anblickte.
»Doc, Sie sehen nicht sehr gut aus.«
»Es geht mir gut.«
»Die Fahrt in die Säule war für Sie zu hart. Sie hätten das nicht tun sollen.«
Graves zuckte die Schultern. »Ich habe es gut überstanden.« Aber er hatte nicht, und Bill sah es ihm an. Dem alten Mann ging es schlecht.
Sie schliefen, aßen, redeten und schliefen wieder. Gemeinsam gewöhnten sie sich an die Eintönigkeit ihrer Gefangenschaft. Aber Graves schöpfte keine neu en Kräfte mehr.
»Doc, wir müssen etwas dagegen unternehmen.«
»Wogegen?«
»Gegen die ganze Angelegenheit. Diese Sache ist eine Herausforderung an die gesamte Menschheit, die nicht hingenommen werden kann. Wir wissen nicht, was inzwischen da unten geschehen ist, aber …«
»Warum sagen Sie ›da unten‹?«
»Nun, Sie kamen die Säule herauf.«
»Ja, sicher – aber ich habe keine Ahnung, wann oder wie sie mich aus der Tauchkugel holten, oder wohin sie mich brachten. Aber reden Sie weiter, lassen sie Ihren Einfall hören.«
»Gut, aber – naja. Wir wissen nicht, was inzwischen aus der Menschheit geworden ist. Die Kugelblitze können sie verschleppen, einen nach dem andern, ohne jede Chance der Abwehr, bevor jemand begreift, was eigentlich geschieht. Wir beide wissen ein wenig. Wir müssen fliehen und die Menschen warnen. Es muß ei nen Weg geben, sich zu wehren. Das ist unsere Aufgabe; die Zukunft der ganzen Menschheit kann davon abhängen.«
Graves schwieg für so lange
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