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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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fliegender Fisch aus Holz und
Messing, und als ich nach oben schaute, war es mir, als ob ich den
Hauch des Abenteuers, der Spannung und – vielleicht – der
Liebe verspürte…
    … Aber der Zug hatte Verspätung.
    Die Sonne zog am Himmel ihre Bahn, heiß und weiß.
Holden und ich tranken eine Tasse Tee nach der anderen und knabberten
kandierte Orangenschalen, und als mir der frühmorgendliche
Brandy zu schaffen machte, spazierten wir auf dem
Bahnhofsgelände umher.
    Das Problem betraf einen der Pylonen, welche den
Makadamkörper fixierten, der hundert Fuß über unseren
Köpfen die Schwebebahn trug. Dieser Pylon wurde mit
eingefettetem Seil abgesperrt, während Polizeibeamte jeden
zugänglichen Zoll inspizierten. Diese unglücklichen
Constables, die in ihren dicken Serge-Uniformjacken schwitzten,
schauten ziemlich komisch aus, als sie zerbrechliche Leitern
hinaufkletterten. Einer von ihnen stieß mit dem Kopf gegen
einen Querträger, und sein Helm flog unter dem großen
Beifall der anwesenden Öffentlichkeit auf den Makadam. Der
Polizist rieb sich den Kopf, dem bereits die Haare ausgingen, und
stieß einen lästerlichen Fluch aus.
    Ein stämmiger, alternder Polizist war zur Bewachung der
Absperrung abgestellt worden; sein rundes Gesicht war
schweißnaß, und seine Stimme verriet den rauhen Akzent
des ländlichen Kent. »Wir vermuten das Vorhandensein eines
Sprengsatzes«, erklärte er in Beantwortung unserer
Fragen.
    »Meint Ihr damit eine Bombe?« fragte ich ungläubig.
»Aber eine entsprechend starke Bombe würde die Bahnlinie
doch zerstören. Dutzende – Hunderte könnten dabei
umkommen!«
    Der Polizist blickte ungerührt drein.
    »Wer könnte wohl so etwas tun?«
    »Ach.« Er schob den Helm zurück. »Die Welt ist
voller Anarchisten, Sozialisten und anderer Wirrköpfe, Sir;
nicht jeder ist so vernünftig wie Ihr und ich.«
    Holden ergriff meinen Arm und lotste mich fort.
»Vielleicht«, murmelte er, »hat Euer
strohköpfiger Freund ja recht. Aber ich befürchte,
daß auch noch genug andere für eine solche Grausamkeit in
Frage kämen, von denen jeder einzelne so rational wie Ihr und
ich wirken mag – oder sogar wie diese Witzfigur von Constable
dort drüben.«
    Ich lachte. »Aber wer?«
    Holden zuckte die Achseln. »Die Schwebebahn ist ein
schönes Werk, nicht wahr? Aber es gibt auch viele, die sie als
eine Bedrohung betrachten. Seht, mein Freund, alles Neue ist eine
Gefahr für die Alte Ordnung. Alles Neue verlangt auch eine neue
Betrachtungsweise der Dinge, neue Denkweisen, und – in einigen
Teilen unseres Kontinents – werden solche Revolutionen einfach
keinen Erfolg haben.«
    Ich rieb mir das Kinn und schaute nach oben; der glänzende
Bogen der Schwebebahn schwang sich über den Kanal hinweg, ohne
etwas von meiner Verwirrung zu wissen.
     
    Es war nach neun Uhr abends, als wir schließlich die
Rolltreppe bestiegen, die uns hoch in die Luft zu unserem Zug
beförderte. Ich sah aus dem Fenster und überschaute den
Hafen. Die Sonne stand jetzt dicht über dem Wasser und der Mond
hing hoch am Himmel, ein perfekter Neumond; der Kleine Mond war ein
kartoffelförmiger Schemen, der wie eine Wolke in den sich
verdunkelnden Himmel stieg.
    Oben an der Treppe stellten wir uns zur Überquerung einer
kurzen Brücke an. Ich ließ den Blick am Zug
entlangwandern, bis hin zur Lokomotive. Das große Gerät
hockte wie ein Panther auf seiner einzigen Schiene, deren
glänzende Verbindungsstreben dick mit Kondensat überzogen
waren. Die Lokomotive hatte eine zylindrische Form, wie die
älteren kohlebetriebenen Konstruktionen – ihr Schornstein
war indessen nur angedeutet, ein eiserner Ring mit einer Höhe
von kaum zwei Zoll. Mir war klar, daß diese Lokomotive keine
dicken Rauchwolken ausstoßen würde; in der Tat war der
Dunst, den ich sah, kein Rauch oder Dampf, sondern ein Kondensat, das
sich auf dem großen Dewar-Behälter niederschlug, der sich
im Mittelpunkt der Lokomotive befand und die paar wertvollen Unzen
Anti-Eis auf arktische Temperaturen herunterkühlte.
    Ein mit dem Zylinder vernietetes Messingschild trug die Nummer der
Lokomotive und einen Namen: Dover Flyer. Ich lächelte
über diese Bescheidenheit.
    Ich überreichte die Reisetasche einem Träger, der sie
über einen beängstigend schmalen Steg zu einem
Gepäckwagen brachte, und dann folgte ich Holden in unseren
Waggon. Er war mehr als komfortabel, mit breiten, gut gepolsterten
und mit Leder bezogenen Sitzbänken, die im kräftigen Purpur
der International

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