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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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erhob,
und er war rundum eingerüstet und mit Planen überzogen. Die
Gerüste wurden durch elektrische Bogenlampen illuminiert; in
ihrem Licht wuselten Arbeiter wie Ameisen herum.
    Holdens Stimme klang belegt, als ob er den Tränen nahe
wäre. »Welch ein Anblick, Ned. Was müssen wohl diese
Kontinentaleuropäer dabei empfinden? Sie erinnern mich an die
mittelalterlichen Bauern, die mit offenem Mund die
himmelstürmenden Mauern der großen gotischen Kathedralen
angafften.«
    Ich wollte schon vorschlagen, daß, falls wir einen Belgier
in dieser Kollektion von Cockneys finden sollten, diesen vielleicht
um einen entsprechenden Kommentar bitten könnten – als
plötzlich ein Geräusch am Himmel ertönte, ein derart
lautes Dröhnen, daß es den Anschein hatte, Gottes Hand
würde sich auf das Dach der Droschke legen. Unsere Pferde
scheuten und wieherten und zerrten dabei an der Kutsche.
    Ein Licht glitt langsam über uns hinweg, weiß und
grell, und warf dabei messerscharfe Schatten auf die provisorische
Stadt.
    Die Menge verstummte. Das Licht überflog die Masse der Prince Albert und kam dahinter zum Stillstand, wobei es die
untergehende Sonne verdeckte.
    »Gütiger Gott, Holden«, keuchte ich. »Was war
denn das?«
    Er grinste. »Sir Josiah Traveller, Mitglied der Royal
Society, an Bord seines Luftfahrzeuges, der Phaeton«, sagte er genüßlich.
    Ich starrte auf das erlöschende Glühen.
    Um uns herum lebte der Lärm der Stadt wieder auf, und unsere
Droschke setzte sich erneut in Bewegung.
     
    Unser Hotel wurde von einem gebürtigen Belgier geführt.
Die Zimmer waren klein und schäbig möbliert, aber sauber,
und das Essen war frugal, nahrhaft – auf englische Art
zubereitet – und reichlich.
    Wir gingen früh zu Bett, und um acht Uhr morgens am Tag des
Stapellaufs machten wir uns im Sonntagsstaat zur Prince auf.
Unser Hotel war vielleicht zwei Meilen vom Schiff entfernt, und ich
wollte schon eine Droschke rufen; aber Holden war dagegen und
führte aus, daß es ein schöner Morgen sei und ein
Spaziergang uns nur gut tun könne.
    Und so schlugen wir den Weg durch die öligen,
abfallübersäten Straßen der Landwerft der Prince
Albert ein. Die Bierabfüllung war bereits in vollem Gange,
ungeachtet der frühen Stunde – oder vielleicht, so
mutmaßte Holden, dauerte sie auch seit dem letzten Abend noch
an. Es war wie eine große, spontane Party; wir sahen
gutgekleidete Stadtmenschen, die Schillinge über den Tresen
schoben, um verschmutzten Schiffszimmerleuten ein Bier zu kaufen,
während Damen aller Klassen sich mit erstaunlicher
Ungezwungenheit untereinander mischten. Während wir durch
Straßen gingen, die von lachenden Gesichtern gesäumt
waren, pulsierte mir das Blut durch die Adern, und meine Stimmung hob
sich schnell.
    Wir bogen um eine Ecke, und das Schiff wuchtete sich in mein
Sehfeld.
    Ich schnappte nach Luft. Holden verhielt den Schritt und hakte die
Daumen hinter den Kummerbund. »Nun, das ist aber ein Anblick.
Hättet Ihr Euch einem solchen Schauspiel denn wirklich in einer
beengten Droschke nähern wollen, Ned?«
    Der große Landkreuzer war von den ihn einengenden Planen und
Gerüsten befreit worden, und nun lag er auf dem platten
belgischen Land wie ein großes, plumpes Tier, das von
Kränen und Rampen flankiert war.
    Wir näherten uns von der Seite. Die Form des Schiffes
entsprach mit vorspringendem Bug und rundem Kiel der seiner
hochseetüchtigen Verwandten, war aber kaum als
stromlinienförmig zu bezeichnen, und die weiß
angestrichenen Flanken wurden von Fenstern unterbrochen,
glasüberdachten Decksaufgängen und Aussichtsgalerien. Drei
Zwillingsschornsteine reckten sich in die Luft; sie waren hellrot und
wurden von einem kupferfarbenen Band und einer schwarzen Kappe
gekrönt. Menschen schwärmten in bunten Haufen um das Schiff
und schauten ehrfürchtig zu den sechs großen
Eisenrädern hoch, auf denen das Schiff ruhte.
    Weiße Dampfwolken quollen bereits aus allen sechs
Schornsteinen, doch das Schiff bewegte sich noch nicht. Beim
Näherkommen konnte ich erkennen, daß das Schiff durch
starke Taue gesichert war, die an im Boden eingegrabenen,
übermannsgroßen schaufelartigen Vorrichtungen befestigt
waren – Landanker, erklärte Holden, als
Vorsichtsmaßnahme gegen den Hangabtrieb – und
außerdem wurde die Albert noch wie weiland Gulliver
durch verschiedene Aufgänge und Laderampen auf der Erde
fixiert.
    Auf dem Promenadendeck, welches die obere Sektion des Schiffes
schmückte, waren Sonnenschirme

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