Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
aufzuweisen hatte, genau den Untersuchungstechniken unterzogen werden konnte, die ich in meiner ersten Phase der Abgeschiedenheit entdeckt hatte.
Was ich damals herausfand, ist in den nächsten beiden Kapiteln festgehalten.
60 Der an theoretischen Hintergründen nicht interessierte Leser kann Buch V ohne Weiteres überspringen: Die Definition von Antifragilität auf der Grundlage von Senecas Asymmetrie reicht für eine literarische Lektüre der letzten Kapitel vollauf aus. Dies hier ist eine eher fachspezifische Beschreibung des Sachverhalts.
61 Ein ähnlicher Test: Wenn mehrere Kritiker meinen, ein Buch biete nichts Neues, und jeder zitiert einen anderen wahren Urheber der Idee, dann darf man sicher sein, dass hier wirklich etwas Neues geboten wird.
Kapitel 18
Der Unterschied zwischen einem großen Stein
und tausend Kieselsteinchen
Über den Einsatz von Steinen beim Bestrafen – Ich bin zu früh gelandet (ein einziges Mal) – Warum eine Dachwohnung immer nützlich ist – Warum es ratsam ist, Heathrow zu umfahren, es sei denn, man hat eine Gitarre dabei
Abbildung 8. Einlass begehrender Bittsteller in (links) konkaver und (rechts) konvexer Haltung. Der Mann illustriert die beiden Ausprägungen von Nichtlinearität; wäre er »linear«, würde er in gerader Haltung aufrecht stehen. Dieses Kapitel entwickelt Senecas Asymmetrie weiter und zeigt, wie die eine (die konvexe) Haltung Antifragilität in all ihren Formen repräsentiert, die andere (die konkave) Haltung dagegen Fragilität, und wie man auf einfache Weise Fragilität entdecken und sogar messen kann, indem man analysiert, wie breitbrüstig (konvex) oder gebeugt (konkav) der Höfling steht.
Während ich über der Porzellantasse meditierte, ging mir auf, dass sie keine Volatilität oder Variabilität oder Aktivität welcher Art auch immer mochte. Für die Tasse ist es am bekömmlichsten, wenn sie einfach in der Stille meines heimischen Arbeitszimmers in Frieden gelassen wird. Die Erkenntnis, dass Fragilität nichts ist als die Verletztlichkeit durch die Volatilität der Dinge, die mit einer Sache in Berührung kommen , stellte eine große persönliche Beschämung für mich dar, denn mein Spezialgebiet war ja genau die Beziehung zwischen Volatilität und Nichtlinearität – schon gut, ich weiß, ein reichlich exotisches Spezialgebiet. Ich beginne mit dem Ergebnis.
Eine einfache Regel, um das Fragile aufzuspüren
Eine Geschichte aus der rabbinischen Tradition (dem Midrasch Tehillim), wahrscheinlich ursprünglich aus dem Vorderen Orient, erzählt Folgendes.Ein König, der über das Verhalten seines Sohns erbost war, schwor, er werde ihn mit einem Felsbrocken zermalmen. Nachdem er sich beruhigt hatte, stellte er fest, dass er sich in einer Zwickmühle befand, denn ein König, der seinen Eid bricht, ist als Herrscher ungeeignet. Sein weiser Ratgeber wusste einen Ausweg: Zerschlagt den Brocken in viele winzige Kieselsteinchen und bewerft damit den nichtsnutzigen Sohn.
Der Unterschied zwischen tausend Kieselsteinchen und einem großen Felsbrocken gleichen Gewichts ist eine gute Illustration dafür, dass Fragilität auf nichtlineare Effekte zurückzuführen ist. Nichtlinear? Noch einmal: »Nichtlinear« bedeutet, dass die Reaktion nicht direkt ist, dass sie keine gerade Linie ergibt; wenn man also beispielsweise die Dosis verdoppelt, dann erzielt man damit einen Effekt, der sehr viel mehr oder sehr viel weniger als das Doppelte beträgt – wenn ich jemandem einen zehn Pfund schweren Stein an den Kopf werfe, verursacht das einen mehr als doppelt so großen Schaden wie ein fünf Pfund schwerer Stein, der seinerseits mehr als fünfmal so viel Schaden anrichten wird wie ein zwei Pfund schwerer Stein und so weiter. Es ist ganz einfach: Wenn Sie in einem Koordinatenkreuz den Schaden auf der vertikalen und die Größe des Steins auf der horizontalen Achse festhalten, dann bekommen Sie eine Kurve, keine Gerade. Das ist eine Weiterentwicklung der Asymmetrie.
Nun der sehr einfache Punkt, der die Entdeckung von Fragilität ermöglicht:
Dem Fragilen fügen Schocks desto größeren Schaden zu, je mehr die Intensität ansteigt (bis zu einer bestimmten Grenze).
Abbildung 9. Der König und sein Sohn. Der durch die Größe des Steins hervorgerufene Schaden als Funktion der Größe des Steins (bis zu einer gewissen Grenze). Bei jeder Zunahme des Gewichts des Steins ist der Schaden größer als beim vorherigen Wert. Deutlich erkennbar ist die Nichtlinearität (die Kurve
Weitere Kostenlose Bücher