Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Mensch ist: »Keinen Arzt wird es ergötzen, dass seine Freunde gesund sind, schrieb der antike griechische Satiriker, kein Soldat erfreut sich am Frieden in seiner Stadt, etc.« (Nul médecin ne prent plaisir à la santé de ses amis mesmes, dit l’ancien Comique Grec, ny soldat à la paix de sa ville: ainsi du reste.)
Wie man die Hälfte der Bevölkerung heilt
Man erinnere sich an meine Ausführungen zu Leibärzten und dass sie einen umbringen können.
An der Geschichte mit der Großmutter habe ich gezeigt, dass wir bei logischen Argumentationen (im Gegensatz zu intuitiven Handlungen) nicht dazu in der Lage sind, zwischen dem Durchschnitt und anderen, vielfältigeren Eigenschaften des beobachteten Gegenstands zu unterscheiden.
Als ich einmal bei einer Lunchparty im Landhaus eines Freundes eingeladen war, zog ein Gast ein Blutdruckmessgerät aus der Tasche. Mich reizte es mitzumachen, und so maß ich meinen Blutdruck. Es stellte sich heraus, dass er leicht erhöht war. Unter den Gästen befand sich auch ein Arzt, ein sehr freundlicher Herr, der sofort einen Rezeptblock aus der Tasche zog und mir ein Medikament zur Blutdrucksenkung verschrieb – ich warf das Rezept anschließend in den Papierkorb. Dann kaufte ich mir dasselbe Messgerät und fand heraus, dass mein Blutdruck viel niedriger (also besser) ist als der Durchschnitt, bis auf einige wenige Male, wenn er kurzfristig ansteigt. Kurzum: Er weist eine gewisse Variabilität auf. Wie alles im Leben.
Diese zufällige Variabilität wird häufig fälschlicherweise für eine Information gehalten und veranlasst den Arzt dazu zu intervenieren. Spielen wir ein Gedankenexperiment durch – ohne irgendwelche Annahmen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Blutdruck und Gesundheit. Nehmen wir außerdem an, der »normale« Blutdruck sei eine bestimmte, bekannte Zahl. Stellen Sie sich eine Gruppe gesunder Personen vor. Aufgrund der Verteilungszufälligkeit wird der Blutdruck einer einzelnen Person die eine Hälfte der Zeit oberhalb dieses Werts liegen, die andere Hälfte unterhalb. Bei der Hälfte ihrer Arztbesuche werden diese Personen also alarmierende »Werte oberhalb der Norm« zeigen. Wenn der Arzt an den Tagen, wo die Patienten zufällig über dem Durchschnittswert liegen, automatisch ein Medikament verschreibt, dann wird die Hälfte der normalen (unauffälligen) Population medikamentös behandelt. Nicht zu vergessen: Mit ziemlicher Sicherheit muss davon ausgegangen werden, dass die Lebenserwartung durch jede unnötige Behandlung gesenkt wird. Natürlich vereinfache ich hier etwas; kluge Ärzte sind sich der Schwankungsbreite bei den Messungen bewusst und werden nichts verschreiben, wenn die gemessenen Werte nicht eine wirklich triftige Begründung dafür liefern (obwohl man leicht in diese Falle tappt, und nicht alle Ärzte sind klug). Aber das Gedankenexperiment kann – vor allem, wenn es nicht um lebensbedrohliche Erkrankungen oder chronische Schmerzen geht – zeigen, wie schädlich häufige Arztbesuche sein können, was ganz generell für häufigen Zugang zu Informationen gilt. Das Beispiel erinnert an den im siebten Kapitel beschriebenen Prozess, wo die Behandlung durch einen Leibarzt mit dem Tod des Patienten endet – nur dadurch, dass auf simples Rauschen überreagiert wurde.
All das wiegt schwerer, als man zunächst vermuten möchte: Offensichtlich haben Mediziner Mühe, die normale Variabilität bei Stichproben zu begreifen – manchmal ist der Unterschied zwischen »statistisch signifikant« und »signifikant« in der Auswirkung schwer zu vermitteln. Eine bestimmte Krankheit senkt vielleicht Ihre Lebenserwartung geringfügig , aber dieser Möglichkeit wird womöglich eine » hohe statistische Signifikanz« zugeschrieben, und das kann dann Panik verursachen, wobei alle diesbezüglichen Studien unter Umständen lediglich festgestellt haben, dass mit einer signifikanten statistischen Bandbreite herausgefunden wurde, dass Patienten in einigen Fällen, sagen wir bei einem Prozent der Fälle, ernsthaft gefährdet sind. Oder anders gesagt: Die Größe des Ergebnisses, das Gewicht des Effekts, wird nicht durch die so genannte statistische Signifikanz erfasst – ein Umstand, der Fachleute tendenziell in die Irre führt. Es sind zwei Dimensionen in Betracht zu ziehen: wie stark sich ein bestimmter Zustand, sagen wir Blutdruckwerte, die etwas über dem Normalzustand liegen, auf Ihre Lebenserwartung auswirkt; und wie signifikant das Resultat ist.
Warum ist das
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