Antonio im Wunderland
unschlüssig mit uns auf der Straße herum.
Schließlich fragt old whitewig nach der Adresse von
Pino. Ich reiche ihm den Zettel, und er sagt: «Das ist
mehr als zwei Meilen von hier entfernt. Ich schlage vor,
dass wir sie dorthin bringen, bevor Sie sich noch weite-
ren Ärger zuziehen.»
«Das ist aber nett von Ihnen.»
«Ich will in meinem Bezirk keine Scherereien. Und
Sie drei sehen nach Ärger aus.»
Das hat noch nie jemand zu mir gesagt, ich finde, es
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klingt beinahe schmeichelhaft. Wir steigen in das Poli-
zeifahrzeug, und die beiden Cops bringen uns zu Pino.
Wir kommen dadurch überpünktlich, aber das stört
mich wenig. Auf der Fahrt spricht niemand, ich habe
Zeit, die Situation noch einmal Revue passieren zu las-
sen. Mein Auftritt war an sich schon peinlich genug, aber
noch viel unangenehmer ist mir, dass ich die beiden
schwarzen Jungs verdächtigte, mich ausrauben zu wol-
len. Warum habe ich das getan? Weil sie schwarz waren?
Weil ich Angst hatte? Weil ich überhaupt keine Ahnung
vom Leben in dieser Stadt habe? Weil ich ein Weichei
bin? Oder weil sie mich vielleicht schon überfallen hät-
ten, bloß nicht am helllichten Tag? Ich werde es nie er-
fahren, aber es bedrückt mich, denn ich bin ein politisch
korrekter Deutscher, und mein Verhalten war nicht kor-
rekt. Von der Scham bekomme ich ganz warme Füße.
Es wäre nicht nötig und es verstärkt meine Seelen-
pein, dass der Officer es sich nicht nehmen lässt, ei-
genhändig an der Tür von Pinos schmalem Häuschen
zu klingeln. Es ist ein graues Reihenhaus in einer Stra-
ße mit lauter grauen zweistöckigen Reihenhäusern, die
alle ziemlich heruntergekommen aussehen. Vor den
Häusern kleine Vorgärten mit zertrampeltem Rasen,
der jetzt im November die Farbe der Häuser annimmt.
Es ist nicht auszuschließen, dass es hier im Sommer
richtig nett aussieht, aber im Moment wirkt das alles
etwas trostlos, selbst wenn es ungewöhnlich warm ist
an diesem Sonntag. An manchen Häusern hängen Bas-
ketballkörbe.
Auf der Straße stehen kleine japanische Autos, hier
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und da auch amerikanische Mittelklasse. Queens ist so
etwas wie der Vorhof zum amerikanischen Traum. Wer
hier wohnt, kommt vielleicht noch woandershin. Von
anderen Gegenden dieser Stadt lässt sich das nicht sa-
gen. Aber da fahren wir nicht hin. Mein Reiseführer rät
dringend davon ab. Aber ich würde ohnehin nicht auf
die Idee kommen, durch Bedford Stuyvesant zu spazie-
ren. Wenn ich das nicht in Hamburg oder Berlin in den
entsprechenden Gegenden tun würde, warum dann
ausgerechnet in New York? Pino öffnet die Tür, und vor
ihm steht zunächst einmal ein Streifenpolizist. «Ich
bringe Ihren Besuch», sagt Weißkopf und lässt es sich
nicht nehmen, ausführlich zu schildern, wie ich zu-
nächst zwei Jugendliche bedrängt, dann schweren
Landfriedensbruch begangen und schließlich seinen
Kollegen bespuckt habe.
Pino hört sich das alles an und nimmt auch die
schulmeisterliche Ermahnung, gut auf uns aufzupas-
sen, gelassen entgegen. Als die Cops weg sind, sagt er:
«Ihr habt Nerven. Zwei Tage in New York, zweimal ver-
haftet. Auch ’n Kunststück.» Genau genommen sogar
schon dreimal, wenn man die Sicherheitskontrolle am
Düsseldorfer Flughafen mitzählt. Von dem Saurierzahn
erzähle ich ihnen natürlich auch nichts. Er führt uns
durch einen dunklen Flur ins Wohnzimmer, wo eine
vielköpfige Familie an einem Tisch sitzt und aus einem
Kanister Coca-Cola trinkt. Antonio schiebt sich in den
Mittelpunkt der Szene, indem er die ganze Mannschaft
auf Italienisch begrüßt. Es ist, als würfe man einen
Fisch in ein Aquarium, in dem schon zwanzig Fische
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von derselben Sorte schwimmen. Mein dicker alter
Schwiegervaterfisch schlägt einmal mit der Schwanz-
flosse und verschwindet dann zwischen den anderen.
Schon bald herrscht ein großes fröhliches Getöse.
Pino hat allerhand Cousins und Tanten, die älteren er-
innern sich sogar noch an Campobasso. Die Kinder,
von denen man bis zu einem gewissen Alter absolut
nicht sagen kann, welchem Geschlecht sie angehören
(meistens hält man dann kleine dicke Jungs für kleine
dicke Mädchen), sind von genau demselben Kaliber wie
in Italien, dabei sind das alles waschechte kleine Ame-
rikaner.
Pino legt aber großen Wert auf seine Abstammung,
es wird von fast allen nur Italienisch gesprochen, und
auch die Einrichtung spiegelt seine Herkunft wider.
Natürlich hängt ein großes
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