Antonio im Wunderland
Ecke.
«Kennst du Mauro Conti?»
Ich versinke in meinem Stuhl. Alkohol, bitte, jetzt.
«Na klar kenne ich Mauro Conti. Wer kennt Mauro
Conti nicht?»
Das gibt es doch gar nicht! Mauro Conti existiert!
Antonio hat mich nicht angelogen, ich kann es kaum
fassen. Vor mir sitzt einer der berühmtesten Menschen
der Erde – und er kennt Mauro, das Phantom von New
York, Antonios Flaschengeist, den Mythos der Mythen.
Robert ist genauso von den Socken wie ich.
«Sag bloß, das ist ein Bekannter von dir?», fragt er
Antonio, dessen Triumphlächeln vom Blitzen seiner
Goldzähne gekrönt wird.
«Bekannter? Mein bester Freund ist das!», ruft Anto-
nio mit einer Überzeugung, die keine Widersprüche
zulässt.
«Er ist dein bester Freund? Aber du bist doch nicht
schwul, oder?», fragt De Niro verwirrt.
«Nein, wieso?» Antonio ist diese Frage in über sech-
zig Lebensjahren noch nie gestellt worden, und er kann
überhaupt nichts damit anfangen. Robert sieht die Em-
pörung in Antonios Gesicht.
«Ich meine, wenn du sein bester Freund bist?»
1 Robert De Niro wurde am 17. August 1943 geboren. Er wuchs in Little Italy auf und wurde in seiner Kindheit «Bobby Milk» gerufen, weil er so ein blässliches und zartes Bübchen war.
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«Mauro ist schwul?» Antonio ist geplättet.
«Mein Freund, Mauro Conti ist schwul wie eine hol-
ländische Kathedrale», sagt Robert und trinkt von sei-
nem Rotwein. «Jeder, der einmal mit ihm gearbeitet
hat, weiß das.»
«Als wir zur Schule gingen, war er noch ganz nor-
mal», entgegnet Antonio. «Hat er dein Haus gebaut?»
Robert ist nun seinerseits verwirrt. «Wieso sollte er?»
«Ist er denn nicht ein weltberühmter Baumeister?»,
fragt Antonio in leicht geschwollener Wortwahl. Er ist
nicht oft unter Superstars, das merkt man.
«Berühmt ist er schon, aber nicht für Häuser. Er hat
meinen Garten in Los Angeles entworfen. Er ist ein ab-
solutes Genie, ein Meister. Seine Arbeiten erkennt man
sofort, wenn man sie sieht. Er hat sich den Begriff
Landschaftsskulpteur schützen lassen 1 , und genau das trifft es.»
Jetzt wird mir einiges klar. Mauro Conti baut keine
Häuser, sondern Gärten. Er ist Landschaftsarchitekt und
wird dieser Tätigkeit eher nicht in Manhattan nachge-
hen. Und es ist auch kein Wunder, dass ich ihn im Inter-
net nicht fand. Ich habe einfach die falschen Suchbegrif-
fe verwendet. Wenn es nun auch noch stimmt, dass An-
tonio diese Reise gemacht hat, um seinen Schulfreund
um städtebauliche Hilfe zu bitten, dann ist die ganze
1 Diese Übersetzung dessen, was Mister De Niro da sagt, ist nicht ganz korrekt, aber das Wort auch nicht übersetzbar. Im Engli-schen hätte er «landsculptor» gesagt, eine Verkürzung der Begriffe «landscape» und «sculptor».
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Fahrt ein Schlag ins Wasser. Aber Antonio scheint die
Wahrheit über Mauro überhaupt nichts auszumachen.
«Wir sind hergekommen, um ihn zu suchen. Weißt
du, wo er wohnt?», fragt Antonio.
«Er wohnt nirgends, er ist immer unterwegs in der
Welt. Er lebt in Hotels, schaut nach seinen Gärten und
legt neue an. Er reist an dreihundert Tagen im Jahr. Er
ist verrückt.»
«Also ist er nicht in New York.»
«Nein, keine Ahnung, wo er gerade ist. Vielleicht in
Europa, keine Ahnung. Vor vier Monaten war er für ein
paar Wochen in LA und hat dort nach dem Rechten ge-
sehen. Die Rosen von Tom Cruise haben Läuse.»
Das ist ja interessant. Tom Cruise seine Rosen haben
Läuse. Ich übersetze diese essenzielle Insiderinforma-
tion für Benno, der ein bisschen wenig mitbekommt
von der Unterhaltung. Er scheint sich aber auch nicht
so sehr dafür zu interessieren. Er füttert seine Pflanze
mit den Resten seines Ragouts und trinkt Bier. Später
bittet er einen Kellner, uns mit Robert zu fotografieren.
Das ist mir peinlich, aber ich kann es verstehen. Robert
zum Glück auch.
Er ist begeistert von seinem neuen Freund Antonio.
Zudem haben wir ihn von seiner Begleitung befreit.
Die Herrschaften seien Verleger und wollten ihn seit
Jahren zu einem Buch überreden, raunt er mir zu. Er
habe darauf aber überhaupt keine Lust und sei sehr
froh, dass wir aufgetaucht sind. Robert ignoriert die
Verlegertypen von nun an weitgehend. Er stellt Antonio
viele Fragen über Campobasso, und Antonio beantwor-
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tet diese ausführlich, aber offensichtlich sehr zur Zu-
friedenheit des Schauspielers, der noch eine Flasche
Rotwein bestellt. Dann fragt er, wo wir in New York
wohnen.
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