Antonio im Wunderland
er Italienisch könne,
was der Mann freundlich verneint. Er notiert unsere
Getränkewünsche. Als er wieder verschwunden ist,
nehme ich Antonio ins Gebet.
«Du kannst nicht immer jeden Menschen fragen, ob
er Italienisch kann. Wir sind in Amerika. Hier wird
englisch gesprochen. Warum sollte also ausgerechnet
dieser Typ Italienisch können?»
«Man weiße nie so genau.»
«Tu mir einfach den Gefallen und frage nicht dau-
ernd, ob die Leute Italienisch sprechen, okay?»
«Okeeh, Chef.»
Ich lasse mich in die Lehne meines Stuhles sinken.
Das Restaurant ist noch nicht sehr gut besucht, die
meisten Städter gehen spät essen. Das wollte ich aber
nicht, Ursula hat mir eingeschärft, dass Toni nicht
nach 21 Uhr tafeln solle, er könne dann so schlecht
schlafen. Das Ambiente ist von postmoderner Eleganz,
ich muss damit rechnen, dass meine Kreditkarte heute
Abend schlapp macht. Das Restaurant hat einen italie-
nischen Namen und wird hauptsächlich von schönen
essgestörten Menschen besucht. Die Frauen tragen
ganz kleine Handtaschen, in die nicht viel mehr hi-
neinpasst als eine Zahnbürste. Die brauchen sie auf
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jeden Fall nach dem Dinner, wenn sie auf die Toilette
gehen, um die getrüffelte Pasta, die Wachteln und die
Zabaione wieder loszuwerden. So stelle ich mir das Le-
ben in der Upper Class vor.
Der schwarze Riese stellt unsere Getränke auf den
Tisch. Antonio sieht mich kurz an, beugt sich zum
Kellner vor, und fragt ihn dann: «Hablamos español?»
Der Mann verneint abermals freundlich, allerdings mit
Nachdruck, und ich lasse meinen Kopf in meine Hände
fallen.
«Heedu, war bloß eine Witz. Habi eine kleine Satire
mit dir gemachte. Bini lustig?»
«Und wie», muss ich gestehen. Wir stoßen an. Für
einen kurzen Zeitraum ist alles so, wie man sich das
vorstellt.
Kein Theater, kein Gebrüll, nur Zufriedenheit und
Hunger und eine selbstbewusste Speisekarte für selbst-
bewusste Menschen, die ihr Geld mit dem Handel mit
Geld oder Waffen verdienen. Mir egal, Hauptsache,
meinen Rentnern ist nichts zugestoßen. Ich erkundige
mich, was sie den ganzen Tag getrieben haben, aber es
ist nicht viel aus ihnen herauszubekommen. Sie seien
da und dort gewesen, sagt Antonio. Und es habe ihnen
ganz gut gefallen. Benno deutet auf ein recht hässliches
Gewächs in einem Blumentopf, der auf dem Tisch
steht. «Habisch mir jekauft», sagt er. Ich habe es zuvor
für Tischdeko gehalten.
«Und was ist das?»
Benno sieht die Pflanze lange an. Dann ergreift er
sein Glas, nimmt einen tiefen Schluck Bier, sieht sich
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im Restaurant um, steht auf und geht auf die Toilette.
Ich sehe in die Speisekarte und übersetze geduldig mei-
nem Schwiegervater alle Positionen, die ich selber ver-
stehe. Benno kehrt zurück und setzt sich hin.
«Datis ene Pflanze.»
«Ach, eine Pflanze ist das! Vielen Dank. Und was für
eine?», frage ich. Ich rechne mit einer Antwort nicht vor
dem Hauptgang, aber Benno ist in Plauderlaune.
«Datis ene Fleisch fressende Pflanze.»
«Wo hast du die denn her?»
«Von ene Verkäufer für Fleisch fressende Pflanze.»
«Hm. Und warum hast du die gekauft?»
«So eine hannisch mir schon immer jewünscht.»
Was für ein interessantes Souvenir. Bei Benno weiß
man nie, vielleicht will er auch seine Mutter an die
Pflanze verfüttern. Wir bestellen unser Essen, und An-
tonio setzt mir noch einmal auseinander, wie wichtig
und segensreich das Wirken des im frühen 20. Jahr-
hundert gewählten Bürgermeisters Ramone gewesen
sei. Ich höre ihm geduldig zu, versinke so allmählich in
einen friedlichen Dämmerzustand, der auch noch an-
hält, als unser Hauptgang kommt. Benno ordert die
vierte Runde Bier, indem er mit seinem leeren Glas
winkt und zum Kellner sagt: «Jung, lassma’ die Luft
ausm Glas.» Er hat in diesem Land eigentlich keine
Verständigungsschwierigkeiten.
Während wir den Hauptgang zu uns nehmen, ent-
decke ich ein paar Tische weiter einen Gast, der ein
bisschen aussieht wie Robert De Niro, der große italo-
amerikanische Schauspieler aus Little Italy. Ich stubse
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Antonio an und sage scherzhaft. «Guck mal, da ist ein
Kollege von dir.»
Antonio zieht die Stirn kraus und sagt: «Siehte aus
wie De Niro.» Dann gibt er wieder einmal die Geschich-
te von Robert De Niros Nonna zum Besten, die in ei-
nem Nachbardorf von Campobasso lebt, wenn sie nicht
schon gestorben ist. Jahrelang hat man darauf gewar-
tet, dass der Enkel mal zu Besuch
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