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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht einmal annähernd groß genug, als dass es ausschließlich die Gebeine ihrer verstorbenen Bewohner sein konnten. Selbst wenn es vorher an der gleichen Stelle ein Heiligtum der Ureinwohner gegeben hatte, vielleicht einen Friedhof der Indianer, die hier gelebt hatten, bevor die Weißen kamen und sie von ihrem Land vertrieben, hätten Jahrtausende nicht gereicht, diese ungeheuerliche Anzahl von Knochen zu erklären. Die Ungeheuer mussten ihre Opfer aus weitem Umkreis hierher geschafft haben.
    »Dort vorne!« Graves’ ausgestreckte Hand deutete auf eine niedrige, sonderbar missgestalt wirkende Mauer vielleicht ein Dutzend Schritte entfernt, die man für eine willkürlich erstarrte Masse aus Lava hätte halten können, hätte es darin nicht eine Tür und mehrere Fensteröffnungen gegeben, die ganz eindeutig künstlichen Ursprungs waren.
    Sie hatten eine ganze Weile beratschlagt, wie sie weiter vorgehen sollten. Selbst Graves hatte für einen winzigen, aber spürbaren Moment gezögert, als Mogens vorschlug, umzukehren und zu einem späteren Zeitpunkt und besser vorbereitet wiederzukommen, sich dann aber nicht einmal die Mühe gemacht, darauf zu antworten. Mogens hatte diesen Vorschlag auch nicht wirklich ernst gemeint. Was er oben in der Tempelkammer gesehen hatte, hatte ihm klar gemacht, dass es möglicherweise kein Später mehr geben würde. Der Raum musste unter der geringsten neuerlichen Erschütterung zusammenbrechen, und eine solche würde unweigerlich kommen, wenn man die geografische Lage der Ausgrabungsstätte berücksichtigte. Er hatte einfach das Gefühl gehabt, es sich selbst schuldig zu sein, diesen Vorschlag zumindest gemacht zu haben, aber er wäre vermutlich eher entsetzt gewesen, hätte Graves ihn angenommen.
    So blieb ihnen kein anderer Weg als der, den sie schließlich aufgenommen hatten, so sehr sie auch alle vor der bloßen Vorstellung zurückschreckten, über die Gebeine seit langem Verstorbener zu klettern.
    Aber zumindest in einem Punkt war das Schicksal ihnen gnädig gestimmt: Weder von den schrecklichen Ghoulen noch von anderen, womöglich noch furchtbareren Bewohnern, die diese unterirdische verbotene Welt haben mochte, war bis jetzt auch nur eine Spur zu sehen gewesen. Die riesige Höhle lag wie ausgestorben da. Mogens hatte diesen Umstand nicht unbedingt bedauert, aber es beunruhigte ihn trotzdem.
    Ein Teil von ihm war sehr froh, bisher keines der schakalköpfigen Ungeheuer zu Gesicht bekommen zu haben, aber ein anderer wollte um jeden Preis wissen, wo sie waren. Dennoch signalisierte er Graves nur mit einem stummen Kopfnicken, dass er verstanden hatte, und machte sich mit schnellen Schritten und leicht geduckt auf den Weg. Ganz flüchtig kam ihm der Gedanke, dass sie sich benahmen wie Krieger, die sich im Schutz der Nacht an eine von Feinden besetzte Festung heranpirschten, aber an dem Gedanken war ganz und gar nichts Komisches.
    Er beschleunigte seine Schritte noch ein wenig und schaffte es tatsächlich, an Tom vorbeizuziehen, der zwar kräftig ausschritt, aber unter der Last seines überdimensionalen Rucksacks mittlerweile doch sichtbar in die Knie zu gehen begann. Anders Miss Preussler. Sie bewegte sich scheinbar langsam, aber mit einer gleichmäßigen Beharrlichkeit, die letzten Endes dazu führte, dass es die meiste Zeit er war, der mit ihr Schritt zu halten versuchte, und nicht umgekehrt. Auch jetzt erreichte Miss Preussler die Wand, auf die Graves gedeutet hatte, ein gutes Stück vor ihm und verschwand, ohne zu zögern, hinter dem, was er für eine Tür hielt. Mogens legte noch einmal einen Schritt zu und schaffte es immerhin, sich wenigstens nicht auch noch auf dem letzten Stück von Tom überholen zu lassen.
    Vollkommen außer Atem und auf zitternden Knien taumelte er durch die Tür und fand sich in einem kleinen, asymmetrisch geformten und gänzlich leeren Raum wieder, in dem es keine leuchtenden Flecken gab, sodass es hier drinnen fast vollkommen dunkel war.
    »Hier müssten wir eigentlich erst einmal sicher sein«, sagte Graves. Auch sein Atem ging schwer, was Mogens wenigstens halbwegs versöhnte. Zumindest war er nicht das einzige Mitglied ihrer kleinen Expedition, dessen Kräfte begrenzt waren. »Wir sollten eine kleine Pause einlegen. Nur ein paar Minuten.«
    »Sagtest du nicht, unsere Zeit … wäre begrenzt?«, fragte Mogens, noch immer mühsam nach Luft ringend.
    Tom stürmte herein und rettete Graves so davor, sofort antworten zu müssen. Stattdessen kramte er

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