Anubis - Roman
primitiven Felszeichnungen ähnlich, die er in der Höhle der Dogon gesehen hatte, nur ungleich grober und ungeschickter. Mogens war nicht einmal ganz sicher, ob es sich tatsächlich um Zeichnungen handelte oder nicht viel mehr nur um eine Laune des Zufalls, die man als solche deuten konnte.
Graves schien es sich ganz ähnlich zu erklären, denn er fragte: »Was hältst du davon?«
»Das ist nun wirklich nicht mein Fachgebiet«, antwortete Mogens ausweichend.
»Aber du hast doch Augen im Kopf, oder?«, fragte Graves. Sein Zeigefinger fuhr immer noch an den Linien und Umrissen entlang, und Mogens hatte auch jetzt wieder das unheimliche Gefühl, dass sich etwas unter dem schwarzen Leder seiner Handschuhe bewegte; ein schwaches, unrhythmisches Pulsieren, das die in den Stein geritzten Linien ebenfalls zu unheimlicher Bewegung zu erwecken schien.
Statt weiter auf Graves’ Frage einzugehen, tat er etwas, wozu er noch vor einer halben Stunde nicht einmal den Mut gehabt hätte. Er trat vollends an Graves’ Seite, hob rasch den Arm und ergriff sein Handgelenk. Graves’ Augen weiteten sich überrascht. Ganz instinktiv versuchte er sich loszureißen, aber Mogens hielt seine Hand so fest, dass er schon Gewalt hätte anwenden müssen. Für einen Sekundenbruchteil blitzte Wut in seinen Augen auf, aber sie verging, bevor die Situation eskalieren konnte.
»Meinst du nicht, dass es an der Zeit wäre, uns endlich zu erzählen, worum es hier überhaupt geht?«, fragte Mogens. Erhatte Graves’ Hand so gepackt, dass seine Finger das schwarze Leder der Handschuhe nicht berührten, aber sein Blick fixierte die unheimlichen Gebilde überdeutlich, und Graves hätte schon blind sein müssen, um nicht zu begreifen, wovon er sprach. Er versuchte noch einmal, sich loszureißen, doch Mogens hielt seinen Arm mit eiserner Kraft fest, und schließlich resignierte Graves. Er nickte Mogens wortlos zu, und endlich ließ dieser seinen Arm los und trat einen halben Schritt zurück.
»Du weißt es wirklich nicht, wie?«, fragte er mit mildem Kopfschütteln. »Seltsam – ich war davon überzeugt, dass du es längst herausgefunden hast.«
»Was?«, fragte Mogens. »Hör endlich auf, in Rätseln zu sprechen.« Seine Stimme klang müde, fast resignierend. Er hatte zornig klingen wollen, aber er konnte nicht mehr.
»Warum, glaubst du«, fuhr Graves fort, »habe ich dich wohl hierher geholt, Mogens?«
Mogens sah ihn nur verständnislos an, doch Graves machte eine auffordernde Geste, und so antwortete er schließlich. »Weil du meine Hilfe benötigst.«
»Deine Hilfe. Ja, sicher.« Aus irgendeinem Grund schien diese Antwort Graves zu amüsieren. »Und wobei?« Er kam Mogens’ Antwort zuvor, indem er den Kopf schüttelte und ihm mit einer entsprechenden Bewegung seiner schrecklichen Hände das Wort abschnitt. »Einen fünftausend Jahre alten Tempel auszugraben? Oder die Hieroglyphenschriften an den Wänden zu entziffern?« Er lachte hässlich. »Nimm es mir nicht übel, Mogens, aber für diese Aufgabe gibt es wahrlich Kollegen, die besser qualifiziert sind. Die bedauernswerte Miss Hyams zum Beispiel war eine Koryphäe auf ihrem Gebiet – aber das hast du zweifellos selbst bemerkt.«
Mogens starrte ihn fast hasserfüllt an. »Weshalb dann?«, fragte er gepresst.
»Weil du glaubst , Mogens«, antwortete Graves. »Weil du von allen Menschen, die ich kenne, vielleicht der einzige bist, der weiß, dass der Glaube der Pharaonen nicht nur ein dummer Aberglaube war! Du hast es gesehen, in jener schrecklichen Nacht auf dem Friedhof, aber du hast es auch vorher schon gewusst. Ich habe es gleich gespürt, schon bei unserem allerersten Zusammentreffen. Deshalb habe ich deine Freundschaft gesucht, Mogens.«
»Wie schade, dass du sie nie gefunden hast«, sagte Mogens. Das war albern. Er konnte selbst hören, wie dumm diese Worte klangen. An der Freundschaft gerade dieses Mannes, den er wie niemanden sonst auf der Welt verachtete und aus tiefstem Herzen hasste, war ihm nun wirklich nicht gelegen – und trotzdem verletzte ihn der Gedanke zutiefst, dass Graves’ Buhlen um seine Freundschaft von Anfang an nichts als Kalkül gewesen war.
Graves machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. »Du hast stets gespürt, dass da mehr ist, nicht wahr?«, fuhr er fort. Etwas in seiner Stimme änderte sich, was Mogens nicht sofort einordnen konnte, was ihn aber alarmierte. Man hätte den Ton, der plötzlich in Graves’ Worten mitschwang, durchaus für
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