Anubis - Roman
Wort. Er begann so aufgeregt mit beiden Händen in der Luft herumzufuchteln, als versuchte er Fliegen zu verscheuchen. »Kommen Sie, mein Lieber.« Er grabschte nach Mogens’ Arm und zog ihn einfach mit sich.
Mogens war viel zu perplex, um sich über Mercers plumpe Vertraulichkeit zu ärgern. Widerspruchslos folgte er Mercer, der ihn wie ein Kind an der Hand ergriffen hatte und ihn einfach hinter sich her zerrte. Dabei schrie alles in ihm danach, sich loszureißen, um wieder an die Wand heranzutreten und das unglaubliche Bild anzustarren, das Unmögliche, das sich dennoch wahrhaftig und real vor ihm erhob, eingemeißelt in Jahrmillionen alten Stein und so fassbar, wie etwas nur sein konnte. Er musste träumen. Mogens hatte während seiner Studienzeit – und auch in den Jahren danach – mehr als eine Unwahrscheinlichkeit erlebt, und doch war dies hier etwas vollkommen anderes. Es war etwas, das nicht sein konnte , weil es nicht sein durfte .
Aber es war .
Der Tunnel war sicherlich hundert Schritte lang, wenn nicht mehr, und führte dabei in sanftem Gefälle tiefer in die Erde hinein. Da es nur wenige Glühbirnen gab, wechselten sich Bereiche ausreichender Helligkeit mit solchen schattenerfüllten Halbdunkels ab, in denen die gemeißelten und gemalten Figuren zu unheimlichem Eigenleben zu erwachen schienen.
Mogens glaubte ein sonderbares, helles Flüstern und Wispern zu hören, das allmählich an Lautstärke zunahm, je tiefer sie in die Erde eindrangen, zweifellos aber nur seiner eigenen Einbildung entstammte. Seine Fantasie schlug Kapriolen, aber das war nun wirklich kein Wunder.
Der Tunnel endete vor einer weiteren Tür, die jedoch diesmal aus massiven Eisenstäben bestand und ein wuchtiges, sichtbar nagelneues Vorhängeschloss besaß, das ganz den Eindruck vermittelte, selbst einer Attacke mit einem Schweißbrenner gelassen standzuhalten. Es war jedoch nicht eingerastet. Als Mercer die Hand um einen der fast daumendicken Eisenstäbe schloss, schwang das Gitter mit einem leisen Quietschen auf, und sie betraten den dahinter liegenden Raum.
Und mit ihm vollends eine andere Zeit.
Der Raum war quadratisch, maß mindestens sechzig Fuß im Geviert und war mehr als fünfzehn Fuß hoch. Auch seine Wände waren mit prachtvollen Bildern und Reliefarbeiten übersät, die Motive aus der altägyptischen Götter- und Pharaonenwelt zeigten, denen Mogens aber kaum mehr als einen flüchtigen Blick schenkte.
Was er draußen als Wandmalerei und flaches Relief gesehen hatte, das stand nun dreidimensional und überlebensgroß vor ihm. Rechts und links des Einganges, unter dem sie stehen geblieben waren, erhoben sich zwei mehr als mannshohe Horus-Statuen aus poliertem Alabaster, deren Schnäbel vergoldet waren und deren Augen aus faustgroßen Rubinen bestanden, die vom Licht der elektrischen Glühlampen auf unheimliche Weise zum Leben erweckt zu werden schienen. Direkt vor Mogens, dennoch die gesamte Mitte des Raumes beherrschend, erhob sich eine gewaltige, über und über mit Gold und kunstvollen Malereien übersäte Totenbarke aus glänzendem schwarzem Holz, die von jeweils zwei sieben Fuß großen Anubis-Statuen an Bug und Heck vorwärts gestakt wurde – dem Herrn und Wächter der Totenwelt, mit Menschenleib und Schakalskopf, mit Juwelenaugen, die von innen heraus zu glühen schienen. Die Barke stand auf einem riesigen Quader, der aus purem Gold zu bestehen schien. Flankiert wurde sie von zwei lebensgroßen Streitwagen samt Lenkern und prachtvoll aufgezäumten Pferden aus poliertem Marmor, und längs der Wände erhoben sich buchstäblich Dutzende weiterer lebensgroßer Statuen, die ägyptische Götter und Fabelwesen darstellten. Nicht alle davon waren Mogens bekannt, was aber nichts an ihrer Glaubhaftigkeit ändern musste. Mogens war kein Ägyptologe, auch wenn er sich durchaus für das Gebiet interessiert hatte – aber das änderte nichts an der Erkenntnis, die ihn wie ein Schlag traf:
Sie befanden sich in einer ägyptischen Grabkammer!
»Nun?«, fragte Mercer. »Habe ich zu viel versprochen?«
Es war Mogens nicht möglich, zu antworten. Er wollte zumindest nicken, aber nicht einmal das gelang ihm. Er stand einfach da, bewegungslos, unfähig, sich zu rühren, auch nur zu blinzeln, ja, für einen Moment sogar, zu atmen. Er hörte, dass auch McClure irgendetwas zu ihm sagte, aber er verstand die Worte nicht, und es war ihm auch nicht möglich, sich darauf zu konzentrieren oder auch nur einen klaren Gedanken zu
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