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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Stelle entfernt, an der der Ghoul ins Wasser gefallen war, aber sie bewegten sich erbärmlich langsam. Wenn ein weiteres Ungeheuer auftauchte, dann waren sie verloren. Der Kanal war einfach nicht breit genug!
    Der Gedanke spornte Mogens noch einmal an. Entschlossen rammte er das Ende der Stange ins Wasser und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Im allerersten Moment geschahnichts. Das Boot zitterte widerwillig auf der Stelle und schien ganz im Gegenteil sogar langsamer zu werden, statt Fahrt aufzunehmen, und eine rasche, irgendwie lebendig wirkende Bewegung lief durch die Masse der Fäden. Tastend wie eine neugierig suchende Hand wickelten sich zwei, drei aus jeweils Hunderten einzelner Fäden bestehende Stränge um die Stange, krochen zu Mogens’ Entsetzen sogar ein gutes Stück weit daran empor und fielen dann mit einem hörbaren Klatschen ins Wasser zurück, als hätten sie den Eindringling in ihr nasses Reich einer flüchtigen Prüfung unterzogen und dann schlagartig das Interesse an ihm verloren.
    Vielleicht, weil er nicht lebendig war, dachte Mogens schaudernd. Was immer dieses Zeug auch war – es war ganz gewiss kein Tang oder irgendein anderes, unbekanntes Gewächs. Es war lebendig, und es hatte ganz eindeutig einen eigenen Willen. Vielleicht hatte es kein eigenes Bewusstsein, aber es folgte mindestens einem starken Instinkt; ein womöglich vernunftloses, aber deshalb nicht minder gefährliches Raubtier, das blind nach Beute tastete.
    »Mach schneller, um Himmels willen!«, keuchte Graves hinter ihm. »Sie müssen gleich hier sein!«
    Mogens fragte vorsichtshalber nicht, wen Graves damit meinte. Stattdessen stemmte er sich mit verzweifelter Kraft gegen die Stange, und endlich setzte sich die Barke ganz allmählich in Bewegung. Quälend langsam zuerst, dann aber rasch schneller werdend, drehte sich der aufwärts geschwungene Bug vollends in die Strömung und nahm Fahrt auf. Es bewegte sich nicht wirklich schnell, aber es bewegte sich.
    »Mogens! Komm her«, befahl Graves.
    Mogens stemmte sich mit nur noch größerer Verbissenheit gegen die Stange, ohne das Boot damit nennenswert weiter beschleunigen zu können. Er sah immerhin über die Schulter zurück und erblickte Miss Preussler, die mit leichenblassem Gesicht auf ihn zusteuerte. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, nahm sie ihm die Stange aus den Händen und rammte sie mit solcher Kraft ins Wasser, dass die Barke nicht nur spürbar zitterte, sondern auch deutlich schneller wurde.
    »Gehen Sie!«, raunte sie ihm zu. »Ich will nicht, dass Sie zu lange mit ihm allein ist.«
    Mogens zögerte. »Sind Sie sicher, dass Sie …«, begann er.
    Miss Preussler rammte die Stange noch einmal ins Wasser, und das Boot wurde abermals schneller. Sie sagte nichts, und Mogens wandte sich ohne ein weiteres Wort um.
    Graves gestikulierte ihm ungeduldig zu, sich zu beeilen, während er zugleich mit spitzen Fingern einige lose Fäden abpflückte und über Bord warf, die an seinen Handschuhen haften geblieben waren. Ein leises Gefühl von Übelkeit stieg in Mogens auf, als er Graves’ linke Hand sah. Der Ghoul hatte sie ihm regelrecht zerquetscht. Die Nähte des schwarzen Handschuhs waren aufgeplatzt, und etwas Weißes, Feuchtes quoll hervor. Graves schien es nicht einmal zu merken.
    Wortlos riss er Mogens’ Hände an sich, drehte sie hin und her und schüttelte dabei ununterbrochen den Kopf. »Irrsinn«, murmelte er immer wieder. »Was für ein Irrsinn.«
    Mogens konnte gar nichts anderes tun, als die Tortur mit zusammengebissenen Zähnen über sich ergehen zu lassen. Seine Hände brannten immer noch wie Feuer. Graves’ Berührung tat so weh, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Er konnte nur mit Mühe ein gequältes Wimmern unterdrücken.
    »Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht?«, fuhr ihn Graves an. Sein Mitleid hielt sich offensichtlich in Grenzen. »Weißt du nicht, was dir passieren kann, wenn du dieses Teufelszeug anfasst?«
    »Nein«, antwortete Mogens gepresst. »Woher auch?«
    Graves verzog abfällig die Lippen, griff zu, und Mogens schrie vor Schmerz auf, als er etwas wie einen dünnen, sich windenden weißen Faden aus dem Fleisch seines Handrückens riss und über Bord warf. Die Wunde begann fast augenblicklich zu bluten, aber Graves gab sich damit keineswegs zufrieden, sondern untersuchte seine Hände akribisch noch ein zweites und sogar drittes Mal, bevor er ihn endlich losließ. Der Zorn in seinem Blick hatte kein bisschen ab-, sondern eher

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