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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Tom hier entlanggefahren war, war es ihm gelungen, diese uralte Mauer als nichts anderes als ein Hindernis aus unregelmäßigen Steinen zu betrachten, das von keinerlei Bedeutung für ihn war, aber nun wollte ihm dieses Kunststück partout nicht mehr gelingen. Seit jener schicksalhaften Nacht vor neun Jahren hatte Mogens keinen Friedhof mehr betreten, und er hatte sich auch geschworen, es nie wieder zu tun. Aber das Geräusch kam eindeutig von dort, und im gleichen Maße, in dem Mogens immer verzweifelter versuchte, den entfesselten Dämonen seines Unterbewusstseins Herr zu werden, wuchs in ihm auch die Überzeugung, dass es von möglicherweise lebenswichtiger Bedeutung für ihn war, die Ursache dieses Geräusches zu ergründen. Er ging weiter, erreichte nach wenigen Schritten die Friedhofsmauer und blieb mit klopfendem Herzen wieder stehen. War das Geräusch noch zu hören? Sein eigenes Blut rauschte so laut in Mogens’ Ohren, dass er nicht sicher war.
    Mogens zögerte noch einen letzten, schweren Herzschlag, dann aber legte er mit einer schon beinahe trotzigen Bewegung die Hände auf die abbröckelnde Mauerkrone, stemmte den rechten Fuß in eine der fast fingerbreiten Fugen des verwitterten Mauerwerks und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung hinüber. Die Geschmeidigkeit, mit der er diese ihm vollkommen ungewohnte sportliche Anstrengung bewältigte, überraschte ihn beinahe selbst, und um ein Haar hätte sie auch in einer Katastrophe geendet, denn das Niveau des Friedhofsbodens lag ein gutes Stück tiefer als das des Weges auf der anderen Seite, sodass aus dem geplanten federnden Satz ein ungeschicktes Stolpern wurde, das in einem Sturz zu enden drohte. Mogens streckte hastig die Hände aus und fand im allerletzten Moment Halt an einem uralten, schräg stehenden Grabstein, der sich unter seinem Gewicht langsam und mit einem sonderbar schmatzenden Laut zur Seite neigte.
    Mogens stand einen Moment lang in fast grotesk vorgebeugter Haltung da, kam dann endlich auf die einzig richtige Idee und stieß sich mit einer entschlossenen Bewegung ab. Der Grabstein verlor endgültig seinen Halt und fiel mit einem dumpfen Geräusch in den Morast, in dem er nahezu zur Hälfte versank, und Mogens fand mit wild rudernden Armen sein Gleichgewicht wieder. Das hätte ihm zu allem Überfluss noch gefehlt: der Länge nach in den Schlamm zu stürzen und von Kopf bis Fuß besudelt ins Lager zurückzukehren!
    Mogens blieb sicher eine halbe Minute reglos stehen und wartete darauf, dass seine Hände und Knie aufhörten zu zittern, und betrachtete währenddessen nachdenklich den Grabstein, den er unabsichtlich umgestoßen hatte und der nun ganz langsam weiter im Schlamm versank. In gewissem Sinne, dachte er missmutig und mit einem fast resignierenden Blick auf seine Schuhe, tat er es dem Grabstein gleich: Auch er versank allmählich im Boden, nicht ganz so schnell und ganz sicher auch nicht so tief wie der Grabstein, der mehrere Zentner wiegen musste, aber seine Schuhe waren schon fast zur Gänze in dem wabbeligem Morast versunken, und wenn er noch lange hier herumstand und seinem eigenen Versinken zusah, dann steckte er wahrscheinlich bald bis an die Waden im Dreck.
    Mogens gedachte allerdings nicht, es so weit kommen zu lassen. Mit einiger Anstrengung zog er die Füße aus dem Morast und brachte dabei sogar das Kunststück fertig, keinen seiner Schuhe einzubüßen. Sie waren trotzdem ruiniert, wie er übellaunig feststellte, und möglicherweise war dieser Teilsieg über den Morast nicht einmal von Dauer, denn er machte zwar einen raschen Schritt zur Seite, begann aber fast augenblicklich schon wieder einzusinken. Er musste einen regelrechten kleinen Tanz aufführen, bis er eine Stelle fand, an der der Boden auch nur halbwegs fest genug erschien, um sein Gewicht zu tragen.
    Verwirrt sah er sich um. Der Grabstein, den er versehentlich umgestoßen hatte, war längst nicht der einzige, der keinen sehr festen Stand mehr gehabt hatte. Ganz im Gegenteil: Die allermeisten Grabsteine, die er im blassen Licht der Mondsichel sah, standen nicht mehr gerade, sondern in unterschiedliche Richtungen gekippt, wie Halme eines versteinerten Kornfeldes, über dem sich ein Tornado ausgetobt hatte. Etliche waren auch ganz umgestürzt und zum Teil oder auch nahezu vollkommen im Boden versunken. Überall zwischen den schräg stehenden oder umgestürzten Grabsteinen brach sich das Sternenlicht auf reglos daliegendem Wasser, wo Nässe aus dem schwammigen

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