Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
die er vor sich sah. Immer weiter vor sich hin zu reden war das einzige Mittel, um nicht in Tränen auszubrechen. Und zu verhindern, dass die eiskalte Panik ihn erfasste und er aufsprang und floh, während er sich gleichzeitig voller Entsetzen mit seinen langen Fingernägeln das Gesicht zerkratzte.
Er musste stark bleiben. Mutig. Wenn er ein echter Künstler war. Er musste lernen, den Anblick dieser Visionen zu ertragen, und lernen, diese Wahrheiten in seinem eigenen Atelier auf seine Weise umzusetzen. Genau darum ging es. Das hatte ihm jemand schon vor langer Zeit erklärt. Er musste einfach nur zuhören. Sie waren jetzt in ihm drin. Und sie hatten die Ventile in seinem Bewusstsein geöffnet.
Später, als er den Schlüssel zu Apartment Nummer sechzehn an den Haken im Safe zurückhängte, hörte er, wie jemand hinter ihm sich räusperte. Er warf die Tür des Safes zu und wirbelte herum.
Stephen stand in der Tür zum Büro. »Hallo, Seth.«
Seth nickte ihm kurz zu und schluckte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, und sein Gehirn war völlig erschöpft von dem, was er gerade gesehen hatte und zu verstehen versuchte. Sein Gesicht war weiß und bebte, und er sah aus, als hätte er ein schlechtes Gewissen, das war ihm klar. Er wusste nicht, was er sagen sollte, was für eine Entschuldigung oder was für einen Grund er anführen könnte, warum er ins Büro des Chefportiers eingedrungen war und den Schlüssel einer Privatwohnung zurückbrachte, die keiner der Portiers ohne besondere Erlaubnis betreten durfte.
»Gibt’s Probleme da oben?«, fragte Stephen und sah ihn fragend an.
»Nur mit Mrs. Roth«, stieß er hervor und versuchte, sich eine Lüge zurechtzulegen, was ihm aber angesichts des bohrenden Blicks seines Vorgesetzten nicht gelang.
»Ach?«
»Ich … ich wollte dich nicht wecken. Es war nichts Wichtiges, wirklich. Aber sie ruft halt immer an. Du kennst sie ja.«
»Da hast du nicht ganz unrecht. Kann ich sonst irgendwie helfen?«
Himmel, nein . »Nee. Ich bin ein bisschen übernächtigt und nervös, das ist alles.« Stephen sah ihn eingehend an. Seth versuchte, das Thema zu wechseln. »Du bist ja spät noch auf.« Er blickte auf die Uhr. »Oder früh, wenn man’s genau nimmt.«
»Janet geht es nicht besonders gut. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen habe. Und so wie du aussiehst, kannst du wahrscheinlich ganz gut nachempfinden, was ich meine.« Stephen lächelte, aber es wirkte nicht besonders freundlich. Eher hinterhältig. Seths Schuldgefühl verstärkte sich, er schluckte und sah jetzt noch übler aus.
Stephen ging ins Büro und setzte sich auf den Schreibtischrand. »Warum gehst du nicht nach Hause, Seth. Ich mach das hier für dich.« Er sah auf die Uhr. »Du hast sowieso nur noch zwei Stunden.«
Seth war verwundert. Eigentlich sollte Stephen ihn jetzt ausfragen, verhören, ihm die Hölle heißmachen. »Ich weiß nicht … meinst du wirklich?«
Stephen lächelte. »Klar. Hau ab. So wie du aussiehst, hast du eine schlimme Nacht hinter dir. Ich weiß, wie sehr einen das fertigmachen kann. Bevor du hier angefangen hast, musste ich die Nachtschicht einen ganzen Monat durchziehen, bis wir Ersatz gefunden hatten – dich. Die meisten bleiben nicht besonders lange hier. Ich meine deine Vorgänger. Die hatten kein Stehvermögen. Schlappe Kunststudenten. Die hatten nicht das Zeug zur Nachtschicht. Das ist ein harter Job. Man braucht jemanden, der dafür gemacht ist, damit alles gut geht.«
Seth hielt die Luft an und fragte sich, worauf Stephen eigentlich hinauswollte, falls er auf etwas hinauswollte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung. »Ich hab mich immer gefragt, wieso du ausgerechnet in einer Kunstzeitschrift inseriert hast.«
»Das war die Idee von einem unserer ältesten Bewohner. Er hat ein besonderes Interesse an Künstlern.«
»Tatsächlich? Wer denn?«
Stephen machte eine abwehrende Handbewegung. »Er ist nicht mehr sehr oft hier. Spielt keine Rolle mehr. Aber ich hab sozusagen seine Anweisungen befolgt. So wie du auch, wenn ich das hinzufügen darf. Ich bin sehr froh, wie gut du hier ins Barrington House passt. Auf dich kann man sich verlassen. Du entlastest mich, du tust, was getan werden muss. Übernimmst Verantwortung, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Äh … danke.«
Stephens Lächeln wurde breiter. »Weißt du was, Seth? Ich glaube, in gar nicht so ferner Zukunft muss ich einen Ersatzmann für mich selbst finden. Einen würdigen
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