Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
nachdem er ihr in den Flur gefolgt war. »Sie ist nicht ganz bei sich. Heute nicht. Es ist alles sehr schwer für sie.«
»Darf ich Sie anrufen?«
»Nein, Sie können nicht anrufen! Und auch nicht wiederkommen!«, schrie Mrs. Shafer. Sie ging ihnen ein Stück hinterher, hielt dann inne, ging wieder ein Stück und schlug die Hände vor den Mund. Und wie ihr schmächtiger kleiner Ehemann da vor ihr stand, hätte Apryl sich nicht gewundert, wenn sie ihn gepackt und in ihren monströsen Bauch gedrückt hätte, der sich unter ihrem Morgenmantel wölbte.
Tom Shafer fasste sie am Ellbogen. Sie wandte sich zu ihm um und sah in seine verängstigten Augen.
»Hört das immer noch nicht auf? Das kann doch wohl nicht wahr sein!«, rief Mrs. Shafer, die ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Wie lange geht das denn schon so?« Jetzt fing sie an zu weinen, und ihr riesiger Körper näherte sich besitzergreifend und bedrohlich der winzigen Gestalt ihres Ehemannes.
»Um Himmels willen«, flüsterte Tom Shafer vor sich hin. Dann drehte er sich um und schrie: »Kannst du nicht endlich mal deinen dummen Mund halten!«
Apryl zitterte vor Aufregung und wollte so schnell wie möglich aus dieser Wohnung raus. Aber der alte Mann krallte sich noch immer an ihrem Unterarm fest. Er atmete jetzt so heftig, dass sie glaubte, er könnte jeden Moment tot umfallen. Seine Lippen bewegten sich. Sie beugte sich vor, und ihr Ohr berührte seine feuchten Lippen.
»Glaub ihnen nicht«, sagte er. »Keinem von denen da unten. Sie helfen ihm.« Und damit ließ er ihren Arm los und wandte sich seiner schluchzenden Frau zu.
28
»Ein Herzinfarkt, ziemlich heftig.« Stephen gab die Neuigkeit über Mrs. Roth eilig an Seth weiter. Der Chefportier hatte darauf gewartet, dass Seth zu seiner Nachtschicht erschien. Piotr stand neben ihm und strahlte. Imee, die Krankenschwester, hatte Mrs. Roth aufgefunden, als sie ihr wie üblich um sechs Uhr das Frühstück bringen wollte.
Zu seiner großen Verwunderung wurde Seth nicht über die Ereignisse in jener Nacht befragt. Ob sie unten bei ihm angerufen hatte zum Beispiel. Nichts. Keiner seiner Kollegen schien besonders aufgeregt zu sein. Jedenfalls würde die Alte ihnen jetzt nicht mehr auf die Nerven gehen, das schien der Grundton zu sein: Erleichterung. Stephen pfiff vor sich hin, was Seth bei ihm bisher nur beobachtet hatte, wenn er ein besonders großes Trinkgeld bekommen hatte. Er schlug Seth sogar auf die Schulter, was er noch nie getan hatte, und ging dann auf die Feuertür zu, die ins Treppenhaus zu seiner Wohnung im Untergeschoss führte.
Der plötzliche Tod einer 92-jährigen Frau durch einen Herzstillstand mitten in der Nacht, während sie sich allein in ihrem Schlafzimmer befand, war kaum ein Anlass für Verdächtigungen oder forensische Untersuchungen. War das nicht genau das, was er in den letzten Tagen immer wieder vor sich hingemurmelt hatte, als übte er ein Mantra ein, während er in alle Himmelsrichtungen geirrt war, um einen Weg aus London zu finden? Und heute Abend stellte er fest, dass er damit durchgekommen war. Die Erleichterung darüber ließ ihn erschauern.
Die Atempause währte nur kurz. Seine Angst vor der Polizei verwandelte sich rasch in panische Angst vor dem, was in Apartment Nummer sechzehn hauste, zu was es fähig war und was es wohl als Nächstes von ihm verlangte. Denn es gab keine Möglichkeit Nein zu sagen. Es veränderte ihn. Es war genauso wie beim Malen – er vergaß, wer er war. Er wurde ein Werkzeug, ein Killer. Das hatte er jetzt verstanden. Der Junge mit der Kapuze, dieser dreckige Mistkerl im Parka, hatte genau das gesagt. Sie würden einen großen Künstler aus ihm machen, ihn von seinem Dasein als wandelnde Leiche befreien, wenn er bestimmte Dinge für sie erledigte. Morde zum Beispiel. Verdammte Morde.
Als Piotr gegangen war, saß Seth stundenlang unter den summenden Lampen in der Eingangshalle und wartete. Es fiel ihm nicht besonders leicht. Was von seinem Verstand noch übrig war, machte ihm klar, dass eine Macht dieses Haus in Beschlag nahm. Er merkte es, konnte es deutlich spüren. Egal ob er schlief oder wachte, hier passierten eigenartige Dinge. Nach Regeln, die er nicht beeinflussen konnte.
Zu bestimmen Zeiten wurde er aufgerufen etwas zu tun. Immer wieder. Hier an diesem Ort. Er war der Komplize in einem Akt der Vergeltung, einem Vorgang, den er irgendwie ins Rollen gebracht hatte. Unerledigte Angelegenheiten im Barrington House sollten zu Ende gebracht
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