Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
für ihr eigenes Outfit aufzutreiben oder etwas, das sie in ihrem Laden verkaufen konnte. Mit den Kleidern ihrer Tante könnte sie aus dem Stand einen Laden aufmachen oder einen ganzen Auktionsraum füllen. Es gab mindestens dreißig Packungen mit echten Nylonstrümpfen, die ungeöffnet in der obersten Schublade der Kommode lagen, Marken wie Mink oder Cocktail Kitty . Auch einige der älteren Strümpfe waren noch immer in Packpapier eingeschlagen und lagen in Schachteln, auf denen die Namen der Hersteller prangten.
Lillian hatte sich offenbar von keinem ihrer Kleidungsstücke trennen können. Während die Jahre ins Land gegangen waren und die Moden sich verändert hatten, hatte sie alles aufbewahrt und irgendwann in den frühen Sechzigern aufgehört, neue Sachen zu kaufen. Moderne Kleider waren überhaupt keine zu sehen. Offenbar hatte sie die klassischen alten Sachen bis zu ihrem Tod getragen. In dieser Hinsicht war die Familienähnlichkeit frappierend. Auch Apryl trug selten etwas, das moderner aussah als die Mode der Fünfziger.
Nur die Schuhe waren enttäuschend. Abgesehen von einem Paar Samtpumps mit hohen Absätzen und zwei Paar silbernen Sandalen waren sie alle völlig ausgelatscht. Die Absätze waren schief und das Leder rissig geworden, da war nicht mehr viel zu retten. Es machte den Eindruck, als wäre ihre Großtante sehr viel zu Fuß unterwegs gewesen, hätte sich aber nicht darum gekümmert, ihre abgelaufenen Schuhe zu ersetzen.
»Mach dir keine Sorgen, Mama. Das geht schon in Ordnung. Alles wird gut. Ich bin einfach bloß müde. Ich bin schon seit halb sechs auf. Und das hier ist alles so aufregend und traurig, und ich weiß auch nicht … Ich kann immer noch nicht glauben, dass Großtante Lillian hier gelebt hat. Knightsbridge ist ungefähr so wie die Park Avenue. Mit dem Geld auf ihrem Bankkonto und dem, was wir für den Verkauf der Wohnung bekommen, werden wir richtig reich sein, Mama. Hast du gehört? Reich.«
»Das wissen wir doch jetzt noch gar nicht, Liebling. Du hast doch gesagt, dass erst noch renoviert werden muss.«
»Mama, das hier ist die allerbeste Wohnlage. Solche Apartments werden einem aus der Hand gerissen. Sogar in diesem Zustand. Es ist ein Penthouse, Mama.« Sie hörte die Klingel an der Wohnungstür. Es klang, als spielte ein kleiner Klöppel in einer Eisenglocke verrückt. »Mama, da ist jemand an der Tür. Ich muss schnell aufmachen. Der Akku von meinem Handy ist sowieso fast leer.«
»Wieso denn das Handy? Warum rufst du mich denn mit dem Handy an? Das kostet doch ein Vermögen!«
»Ich hab dich lieb, Mama. Ich muss schnell aufmachen. Ich ruf dich wieder an, wenn ich mehr weiß.« Apryl gab dem Handy einen Kuss und rannte aus der Küche zur Wohnungstür, um den Chefportier hereinzulassen.
»Ich glaube, ich möchte wirklich gern wissen, was sie für ein Mensch war. Vor allem zum Schluss. Ich meine, sie hat das alles hier hinterlassen. Hier drin … « Wie ein Rätsel, das man auflösen soll , wollte sie eigentlich sagen. Es schien beinahe so, als wollte Lillian verhindern, dass sie die Sachen einfach wegwarf oder verkaufte. Als wollte die tote Tante sie dazu bringen, sich mit ihrer eigenartigen Existenz auseinanderzusetzen.
Apryl seufzte auf, als sie mit dem Chefportier in der Küche saß. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten – ich bin ja selbst total erledigt. Ich bin so müde, dass ich schon Halluzinationen kriege. Vielleicht ist das jetzt also nicht der richtige Moment, um solche Fragen zu stellen, aber … manches hier drin hat mich echt richtig gepackt.« Es gelang ihr nicht, die in ihrer Stimme mitschwingenden Gefühle zu unterdrücken. Sie hüstelte und nahm einen Schluck von ihrem schwarzen Tee. Normalerweise trank sie Kaffee, aber den hatte Lillian offenbar aufgebraucht.
Stephen war nicht mehr im Dienst und hatte seine Krawatte abgenommen. Obwohl es schon nach zehn Uhr war, trug er jedoch noch immer sein weißes Baumwollhemd und die grauen Hosen seiner Portiersuniform, was darauf schließen ließ, dass es jenseits des Jobs in diesem Haus nicht viel in seinem Leben gab. Während Apryl am Tisch in der Küche saß – es war der einzige Raum in der Wohnung, in den man einen Gast führen konnte – , lehnte er mit dem Tee, den sie ihm eingeschenkt hatte, am Küchentresen.
Er nickte. »Das ist bestimmt nicht ganz einfach für Sie. Ich dachte erst, es wäre vielleicht nicht so schwer für Sie, weil Sie Lillian ja nicht persönlich gekannt haben. Aber in diesem
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