Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
roch vorsichtshalber daran. Offenbar war sie sauer geworden, als er bewusstlos im Bett gelegen hatte. Ohne Milch konnte er kein Müsli essen, aber Brot gab es nicht. Er sah sich im Kühlschrank um und entdeckte ein Stück harten Käse, ein paar Fläschchen mit Gewürzen mit verschiedenfarbigen Deckeln, drei Suppenwürfel, Soja- und Worcester-Sauce, eine vertrocknete Knoblauchzehe und eine halb volle Packung mit vergammelten Pilzen. Nichts, aus dem man eine vernünftige Mahlzeit hätte bereiten können, egal, ob er etwas kombinierte oder separat benutzte. Auf dem Klapptisch in der Mitte des Zimmers lagen schrumpelige Äpfel. Da könnte er genauso gut in ein altes Kissen beißen.
Es ließ sich nicht vermeiden, er musste nach draußen gehen.
Er fühlte sich schwach und setzte sich auf das untere Ende des Betts, um sich eine Zigarette zu drehen. Nach drei Zügen war ihm schwindelig.
Sollte er sich am Waschbecken im Erdgeschoss frisch machen, bevor er zum Supermarkt ging? Er entschied sich dagegen. Dieser Ort war schmutzig, und er war für die Schmutzigen gedacht.
Das Wasser kochte. Er goss es über einen Teebeutel und gab vier Löffel Zucker in den Becher: Damit hätte er genug Energie, um es die Straße hoch bis zum Supermarkt zu schaffen. Er sah zu Boden und trank den Tee. Die Wärme des Bechers fühlte sich angenehm an in seiner Hand. Er dachte an die Halluzinationen, die er in den letzten Tagen und Nächten gehabt hatte, und stellte überrascht fest, dass es ihm ziemlich egal war. Diese grauenhaften Träume, ihre makabren Begebenheiten und beängstigenden Situationen waren Nacht für Nacht wieder gekommen, genauso wie der Junge mit der Kapuze: All das waren deutliche Zeichen, dass er sich um seine geistige Gesundheit sorgen musste. Trotzdem kam ihm das alles vor, als wären es ganz natürliche und notwendige Vorgänge, sogar die Exekution der Shafers in diesem langen und peinigenden Traum. Was ihm nach den nächtlichen Vorfällen in ihrer verwahrlosten Wohnung zugestoßen war, wollte er sich lieber nicht ausmalen. Schon die geringste Erinnerung an die Geschehnisse in Apartment Nummer sechzehn spannte seine Nerven bis zum Zerreißen.
Zum ersten Mal seit über einem Jahr war er fasziniert von sich selbst. Noch nie waren ihm seine Albträume so real erschienen, auch wenn er sich das nicht erklären konnte. Vielleicht war er einfach in einer derart schlechten Verfassung und viel zu lethargisch, um sich Gedanken darüber zu machen, was es bedeutete, immer weiter von den ausgetretenen Pfaden des normalen Lebens abzukommen. Seine Trägheit erstickte jeden Antrieb. Die Einsamkeit machte ihn paranoid. Seine Armut verstärkte sein Elend. Das wusste er ja alles. Wenn es einen richtig hart trifft, wird man unberechenbar. Not und Entbehrung, so hieß es, seien gut für die Kunst. Aber was für eine Kunst sollte das sein und zu welchem Preis?
Vor einem Monat hatte ein desinteressierter Arzt versucht, ihm wieder ein Antidepressivum zu verschreiben. »Hören Sie auf, nachts zu arbeiten. Ganz offensichtlich bekommt Ihnen das nicht«, hatte er gelangweilt vor sich hingemurmelt und etwas auf einen Rezeptvordruck gekritzelt. Aber so einfach war das nicht, hatte Seth dem Arzt erklären wollen. Es sind die Leute, die mich verrückt machen. Sie machen mich fertig. Sie saugen mich aus. Meine einzige Waffe ist die Einsamkeit. Ich muss wach sein, wenn sie schlafen und schlafen, wenn sie wach sind.
»Scheiß drauf.« Er stand auf und drückte die Zigarette auf der Untertasse aus, die ihm als Aschenbecher diente. Darauf lagen schon über zwanzig Kippen, vertrocknet, krumm und knorrig wie die Finger von uralten Puppen. Eine kleine Wolke aus grauer feiner Asche erhob sich, als er die Untertasse auf den Tisch stellte. Wie sahen wohl seine Lungen aus? Das wäre mal etwas, das er malen sollte. Den Verfall eines Menschen. Seine Gedanken und Gefühle und seine Verhaltensweisen in den Farben und Umrissen seines sezierten Körpers. Vielleicht sollte er später einmal eine Skizze versuchen.
Seth setzte sich hin und drehte sich eine weitere Zigarette.
Obwohl sie zerknittert und feucht und ein bisschen kurz an Armen und Beinen waren, trug Seth die gleichen Sachen, die er schon zwei Tage zuvor angehabt hatte. Er spürte, wie die Kälte hindurchdrang.
Draußen auf der Straße fiel es ihm schwer, irgendetwas deutlich zu erkennen. Alles erschien ihm verwischt, als betrachtete er die Welt durch die mit einem Wasserfilm überzogene Windschutzscheibe
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