Apollofalter
Erstarrung. Ist wieder lebendig. Ein junges Mädchen, das kichert und lacht.
»Der Stein ist ganz warm. Fühl mal, wie der Schiefer die Sonne speichert.« Sie neigt den Kopf schräg. Ein Zöpfchen berührt die sanft gerundete Schulter.
Schnitt.
Dann eine Aufnahme von hinten. Wie sie läuft. Wiegende Schritte. Das leise schlappende Geräusch ihrer Zehenschuhe. Flip-Flops. So nennt sie die Schuhe. Sein Objektiv ist auf ihre Hinterbacken gerichtet.
Schnitt.
Sie trägt einen pinkfarbenen Bikini. Das Oberteil flach, der Po rund. Sie liegt im Garten auf einer Decke und sonnt sich. Ruhend in sich, eingesponnen in ihre eigene Welt. Sie merkt nicht, dass sie gefilmt wird.
Damals setzte sein Atem aus, als er zur Kamera griff. Auch jetzt hält er wieder den Atem an. Er weiß, was kommt. Auf der nächsten Bildfolge hat sie das Bikinioberteil abgestreift. Dann sieht sie ihn an. Den Kopf geneigt, mit diesem lockenden Blick. Das kleine Biest. Sie wusste genau, was ihr entblößter Oberkörper in ihm auslöste. Keine Angst, sagen ihre Augen. Das ist unser Geheimnis. Unser süßes kleines Geheimnis.
Diese Bilder wird er niemandem zeigen. Sie sind sein Eigentum. Sie gehören ihm. Und sie gehen niemanden etwas an.
Gebannt sieht er auf den kleinen Nabel, der sich in den flachen Bauch drückt, das winzige Höschen darunter.
Mimikry, denkt er. Nicht nur Schmetterlinge beherrschen die Kunst der Verstellung. Die sie einnehmen, wenn sie nicht gefressen werden wollen.
Abbruch. Schwarzes Geflimmer.
Der Zauber war verflogen. In die schier unerträglichen Gefühle von Lust und Gier mischte sich der Schrecken der Erkenntnis, dass das die letzten Zeugnisse von der lebenden Hannah waren. Es wird keine weiteren Bilder mehr geben. Er schaltete den Laptop wieder aus. Legte sich zurück ins Bett.
Unruhig wälzte er sich in den Laken. Erinnerte sich an eine ferne Bedrohung. Etwas, das sie erwähnt hatte. Etwas, das mit Vertrauen zu tun hatte.
Das Tagebuch!, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Irgendwann hatte sie erwähnt, dass sie Tagebuch führte. Und dass er da öfter vorkäme. Aber sie habe es gut versteckt. Er könne ihr vertrauen. Dabei hatte sie verschmitzt gelacht.
Was, wenn sie alles aufgeschrieben hat? Vielleicht hatte diese Polizistin das Tagebuch bereits gefunden. Schließlich hatte sie Irmchen darum gebeten, einen Blick in Hannahs Zimmer werfen zu dürfen. Aber dann hätte ihn diese Frau Mazzari doch sofort befragt. So wie die aussah, ließ sie so schnell nicht locker.
Panik erfasste ihn. Er musste Hannahs Tagebuch finden! Hastig stand er wieder auf. Ging hinaus in den Flur. Alles war ruhig. Leise schlich er hinunter bis vor Hannahs Zimmer. Sah sich vorsichtig um. Es war kein Siegel angebracht, wie er erst befürchtet hatte. Die Klinke gab nach. Das Zimmer war unverschlossen. Es sah so aus, als ob Hannah jeden Moment zurückkäme, um in ihr Bett zu schlüpfen.
Im Schein der kleinen Nachttischleuchte begann er, die Schubladen ihrer Kommode aufzuziehen. Wie ein Einbrecher kam er sich vor. Einer, der unerlaubt Dinge durchwühlte. Im Grunde genommen war es auch so. Da lag ihre Unterwäsche auf kleinen Stapeln. Winzige Höschen. Mit Blümchen- und Tieraufdrucken. Er tastete sich durch jede Schublade. Achtete darauf, nicht allzu viel Unordnung zu machen.
In der Kommode war es nicht. Er öffnete ihren Kleiderschrank. Unzählige beklebte Schuhkästen standen auf dem Innenboden. Einen nach dem anderen nahm er heraus. Ein ganzes Mädchenleben fiel ihm entgegen. Fotos, Zettelchen, Schulhefte. Plüschige Schlüsselanhänger. Davon hatte sie eine größere Sammlung. Zeitungsausschnitte. Krimskrams.
Ein Tagebuch war hier nicht zu finden. Einer der Schuhkästen war beklebt mit glänzenden roten Herzen. Er hob den Deckel an. Mehrere vertrocknete Rosen lagen darin, die zwischen seinen Händen zerbröselten. Ein Stapel eng beschriebener Blätter. Es war nicht Hannahs Schrift. Flüchtig überflog er die Zeilen. Kindliche Liebesbriefe von irgendeinem Bärchen. Er legte sie wieder in die Schachtel zurück.
Seine Hände zuckten. Wühlten weiter, gruben. Langsam wurde er ungeduldig. Irgendwo musste dieses verdammte Buch doch sein! Etwas fiel dumpf zu Boden. Erschrocken hielt er inne. Lauschte in das dämmerige Zimmer.
Schließlich räumte er alles wieder zurück in den Schrank und setzte sich auf das Bett. Wo, verdammt noch mal, würde ein junges Mädchen sein Tagebuch verstecken? Er musste es unbedingt finden. Bevor es in die Hände
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