Apollofalter
hatte: Jemand musste Hannah mit einem größeren Schieferbrocken den Kopf zertrümmert haben. Die Frage, ob sie unglücklich auf den Stein gefallen und den Abhang hinuntergerollt war, wurde erst gar nicht gestellt.
»Du glaubst also nicht an einen Unfall?«, fragte sie. Nur um sicher zu gehen.
»Alles spricht für diesen Ablauf. Ich hab mich noch mal eingehend mit Frankenstein unterhalten. Der Schieferbrocken lag zu weit weg, als dass sie da drauf gefallen sein könnte. Den muss der Täter nach der Tat zwischen die Reben geschleudert haben.«
»Der Hang ist aber sehr abschüssig. Es könnte doch sein ...«
»Ich weiß, warum du dich so gegen ein Verbrechen wehrst«, unterbrach er sie leise. »Deine Tochter ist ähnlich alt wie dieses Mädchen. Da müssen sich einem solche Parallelen geradezu aufdrängen. Ein Unfall wäre leichter zu ertragen, nicht wahr?«
Sie sah kurz hoch, Erstaunen im Blick. Manchmal war es beängstigend, wie sehr sie dieser Mann durchschaute.
»Aber alles spricht dafür, dass es kein Unfall war. Ich denke, du solltest dich dieser Tatsache stellen, Franca. Damit wir schnell und gezielt nach dem Täter fahnden können.«
»Du hast ja recht«, murmelte sie und widmete sich weiter seinem Bericht.
Die dünne Faktenlage war aufgeführt. Die Zeugenaussagen des Winzers Johannes Bick und der polnischen Arbeiter Pawel und Marek Bilowski. Wie sie später erfahren hatte, waren die beiden als Saisonarbeiter auf dem Löwenhof engagiert. Hinterhuber hatte alles akribisch aufgeführt.
»Die Befragung der polnischen Arbeiter war schwierig und ging schleppend vonstatten«, hatte er geschrieben. In ihren Augen war da gar nichts vonstatten gegangen. Die hatten doch immer wieder betont, dass sie nix gesehen und nix gehört hatten. Sie wollten noch nicht einmal zugeben, dass sie Hannah gekannt hatten.
Franca dachte daran, wie sie mit Hinterhuber während ihrer kritischen Annäherungsphase ein paar Mal heftig über das Berichte schreiben aneinander geraten waren. Stets hatte er versucht, diese ungeliebte Arbeit auf sie abzuwälzen. Mit der Begründung, schon in der Schule habe er es gehasst, Aufsätze zu schreiben. Als sie darauf einging, weil ihr das Berichte schreiben nicht viel ausmachte, hatte er sich über ein paar Rechtschreibfehler und ihre Ausdrucksweise mokiert. Dabei fielen ein paar weniger nette Worte, bis irgendwann die Fronten geklärt waren.
So schlecht wie er immer tat, konnten seine Aufsätze gar nicht gewesen sein. An seinen Berichten gab es meist so gut wie nichts zu mäkeln. Sie waren in einem ansprechenden Deutsch verfasst und fehlerfrei.
Bis jeder den anderen akzeptierte wie er war, war ein langer und allmählich stattfindender Prozess gewesen, bei dem es durchaus noch den einen oder anderen Rückschlag gegeben hatte. Aber zumindest hatten beide den guten Willen gezeigt, es miteinander zu versuchen.
Bernhard Hinterhuber war ein Akribiker, der es sehr genau nahm mit allem, was er tat. Franca, die solche nebensächlichen Dinge wie Ordnung halten nicht ganz so wichtig nahm, fühlte sich von diesem Ausbund an Korrektheit öfter bedroht und prangerte einige Male laut und vernehmlich die Buchhaltermentalität ihres Kollegen an. Insgeheim aber bewunderte sie, wie er es schaffte, jedes Mal vor Feierabend seinen Schreibtisch aufgeräumt zu hinterlassen. Sie selbst schmiss oft Papierhaufen und Akten aufeinander, in der Hoffnung, sie irgendwann sortieren zu können. Manchmal ließ dieser Vorsatz lange auf sich warten und der Haufen wuchs und wuchs und nahm bedrohliche Dimensionen an, bis sie sich endlich seiner erbarmte. Das Ergebnis war nie der Rede wert. Sie schaffte es einfach nicht, einen Stapel komplett abzutragen.
Ihr Chaos war ihm suspekt, das wusste sie. Sie behauptete stets, gut damit leben zu können. Was in ihrem Code hieß: »Ich habe eingesehen, dass ich gegen diese Papierhaufen machtlos bin. Sie sind einfach stärker als ich.« Wenn sie allerdings allzu oft seinem verständnislosen Blick jenseits des Schreibtisches begegnete, konnte es durchaus vorkommen, dass sie die Aufräumwut überfiel. Manchmal schämte sie sich dann, was sich bei diesen Attacken alles fand, das man besser einfach verschwinden ließ.
Im Stehen trank sie ihren Espresso. Die Büroräume der zentralen Kriminalinspektion, das K11, befanden sich in der dritten Etage des Polizeipräsidiums am Moselring. Ihr Blick wanderte hoch zur weitläufigen Anlage der Festung Ehrenbreitstein, die auf dem Felsen thronte. Jedes
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