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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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in der kleinen Stadt Thionveille, mal eine schön geklöppelte Spitzengardine und mal ein oh, là, là Dessous im Schaufenster und mal eine herrlich geschwungene Porzellanvase mit gesticktem Deckchen auf einem Tisch.
    Vor allem aber entdeckte Apollonia die Freiheit, sie musste sich vor nichts und niemandem erklären und streifte mit Hermine durch die Dörfer des Südens und kaufte aufregend unbekanntes Zeug und unterhielt sich mit Händen und Füßen mit dem »Bulongschee«, bei dem sie Brot kaufte, und ließ sich einladen zu einer Weinprobe bei dem alten Monsieur Richard und konnte einfach nicht glauben, dass das Leben so leicht sein konnte und so duftig wie ein Sommer in Südfrankreich und so lieblich und so freundlich. Sie fuhren Boot auf der Garonne und gingen ans Meer und fanden Freunde, die hießen Pierre und Madame Ninette und Monsieur Jean-Jaques. Die Franzosen trugen ihnen die Somme nicht nach, sie wollten gar nichts davon hören, und die Zimmerleute versuchten ihrerseits die lustigsten Kerle zu sein und ihnen die Häuser schön einzuhüllen und zu verschalen mit hölzernen Wänden und in den Fabriken Kisten zu bauen und bei den Brückenbauten auszuhelfen, sodass alles stabil war, und kein Franzose sollte jemals damit einstürzen, noch in hundert Jahren nicht.
    Und vom ersten Gehalt für die erste Holzsäule für den ersten Betonpfeiler gleich bei Bordeaux kaufte mein Großvater Klemens meiner Großmutter Apollonia beim Bijoutier auf dem Place du Montreux einen Ring, der war tiefviolett und viereckig, mit einer Fassung aus ziselierten Ornamenten, und steckte ihn ihr an den Finger, und meine Großmutter Apollonia war so glücklich, so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.
    Sie hofften, es ginge niemals vorbei.
    Frankreich war so schön. So liebreizend. Es war so gut zu ihnen.
    Doch nach drei Jahren nützten ihnen der Oleander nichts mehr und die Orangen und der Lavendel, da mussten sie zurückkehren, da half kein Blühen und kein Duften und auch nicht der herrliche Wein von Bordeaux.
    Es waren genügend Kisten genagelt und Häuser verschalt. Die Brücken an der Garonne waren fertig gebaut.
    Und die Brüder vom Zimmerplatz hatten Heimweh nach Scholmerbach.
    Ich hatte den violetten Ring meiner Großmutter in der Schublade gefunden, in die sie manchmal den Herrgott hineinstopfte. Dort lag er zwischen den Palottinerheften, der Blutspendenadel und der Zuckerbüchse und einem silbernen Zierlöffel und einem dicken Bleistift, in dem die Bergbahn von Bad Ems rauf und runter fuhr.
    – Oma, woher hast dou den eigentlich?
    – Frankreych!, hatte sie gesagt.
    – Ich dachte, den hätte der Opa dir aus der Gefangenschaft mitgebracht.
    – Naa, da, da hatte der doch kein Geld.
    Meine Oma fasste den Ring nie an, aber sie fasste auch die Palottinerhefte nie an und die Blutspendenadel. Sie trug ihn auch nicht, zu keinem Fest, er schien nichts auszulösen bei ihr, es war nur das Wort Frankreich, das in ihr Melodien auslöste und die Marienandacht ins Gesicht malte, es war nicht der Ring. Es war das »Franziesische«. Man wusste nicht genau, warum und was dort für sie so schön gewesen ist. Im Grunde hat sie alles für sich behalten, im Grunde war mein Unterfangen, etwas von ihr aufzuschreiben, aussichtslos.
    – Das geht kaanen was an.
    Wieso respektierte ich das nicht? Sie hatte keine Lust zu erzählen, und ich sollte es auch nicht aus ihr herausleiern. Marie, halt den Mund, Marie mach nicht so ein dummes Geschwätz, Marie, wer will das wissen, Marie, du fragst mir Löcher in den Bauch.
    Jetzt hatte sie ein richtiges Loch im Bauch und jetzt sollte ich sie nicht mehr fragen.
    Als ich am Abend nach Hause kam, sagte mein Vater, ich könnte noch mal hereinschauen, sie schlafe noch nicht. Er hatte ihr eine Klingel montiert, und da mein Zimmer neben ihrem Schlafzimmer sei, könne ich ja vielleicht mal nach ihr schauen. Der Dr. Samstag hat ihr eine Spritze gegeben, sagte mein Vater.
    – Aber seitdem ist sey nicht wirklich ruhiger geworden, eher unruhiger. Komisch. Er meinte, es sei gegen die Schmerzen.
    – Eych setze mich noch ein wenig zu ihr, sagte ich.
    – Das ist gut.
    Ich sah meine Oma im Schein der Nachttischlampe mit halbgeschlossenen Augen und den blöden Zöpfen in den Kissen liegen und hörte sie ohne Gebiss vor sich hinmurmeln.
    – Hallo Oma, sagte ich und musste näher rücken, weil ich sie nicht verstand.
    Rhabarber, Rhabarber.
    Es war mir nicht recht klar, was sie meinte. Banane, Banane.
    – Oma?
    –

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