Apollonia
über Scholmerbach eine prächtige Fahne mit einem riesigen, weithin sichtbaren Hakenkreuz mit Spaten und Ähre, die wehte weithin im Wäller Wind.
Der Feldmeister Schröder war von der Wesel und hatte sich in den Dienst von Reichsarbeitsführer Hierl gestellt und war nun auf das Haselbacher Feld gekommen, um die Verwaltung zu übernehmen und das morgendliche Exerzieren mit dem Spaten.
In der alten Villa erinnerte nichts mehr an die Witwen, den Dreck der Steinbrüche und die schäbige Fürsorge. Die Decken waren neu verputzt, und Kronleuchter hingen, und es wurden Tapisserien angebracht und die Säulen mit ihrem Stuck erneuert, und der Anstreicher hatte zu tun, und die Maler hatten zu tun und der Fenstermacher auch. Obertruppführer Vogler und Feldmeister Schröder zogen in das Herrschaftsgebäude und ließen ihre Möbel aus dem Ruhrgebiet kommen, und die Scholmerbacher standen an der Straße und staunten, denn noch nie hatten sie ein so schönes Sofa gesehen, noch nie ein so herrliches Gemälde mit dicken Damen, nie ein so teures Radio, und keiner im Dorf hatte einen so prächtigen Wohnzimmerschrank und so glänzende, gestickte Teppiche. Was dann kam, verschlug allen die Sprache, und sie machten ehrfürchtig einen Schritt rückwärts:
Aus Dortmund geliefert von einem Fahrzeug der reichsdeutschen Armee, fuhr in den Hof eine noch nie zuvor gesehene, ja die allererste jemals erblickte, funkelnagelneue, schöne, auf vier Füßen stehende weiß glänzende Emaillebadewanne.
So war also der Erste, der in Scholmerbach in einer Badewanne saß, ein Nationalsozialist auf dem Haselbacher Feld.
Meine Großmutter Apollonia freute sich, weil auf dem Zimmerplatz die Kreissägen liefen und das Gatter stampfte und alles auf den Beinen war und die alte Charlotte ihnen Butterstücker und Malzkaffee hinausbrachte, damit sie Kraft hatten und weiter hobelten und hämmerten und sägten und die Getreidemühlen laufen ließen. Es war der reine Unverstand, dass mein Großvater Klemens noch immer so lange im Bett lag, bis der letzte Hahn sich die Kehle heisergekräht hatte und man ihn mit dem Knüppel aus dem Bett holen musste. Und Apollonia musste allein den Stall machen und das Vieh auf die Weide bringen und den Kühen gegen den Kopf gehen. In der Scheune hing das Heu vom letzten Jahr noch schmutzig von den Balken, und alles, was der Urgroßvater Gustav gemacht hatte, verkam. Die Spaten fielen von der Wand, und die Sau machte die Stallwand dreckig, und die Kuh riss den Eisengurt aus der Wand, und all das scherte meinen Großvater nicht. Kann man ein andermal machen, sagte er. Oder das sei nicht notwendig oder das sei Kappes. Oder Weibergeschwätz oder Käse oder Kokolores. Mein Großvater hatte auf dem Zimmerplatz genug zu tun mit seinen Brüdern, die sich beschwerten, wenn Klemens das Gatter immer bloß im ersten Gang laufen ließ, weil er noch den Nassauer Boten fertig lesen wollte, und wenn das Gatter im ersten Gang lief, dann sägte es ewig und ewig an einem Baum herum, und solange das Gatter noch sägte, brauchte er nicht hochzukommen, um seinen Brüdern zu helfen.
Es gab ja noch andere Arbeit für ihn: die Sägeblätter schärfen, die Balken hobeln, das Pferdegeschirr reparieren, Stämme aus den Wäldern holen, seiner alten Mutter auf dem Feld helfen und die Getreidesäcke abfüllen.
Aber Klemens ist ein Faulenzer, hieß es immer wieder. Er schafft die Hälfte und verdient das Gleiche, sagten die Brüder. Er soll weniger haben. Er soll nach Stunden bezahlt werden!
Die alte Mutter Charlotte ging dagegen: Wir müssen alle gleichhalten. Es ist nie ein Kind wie das andere. Aber die Brüder sagten: Er hat schon immer das Gleiche gefressen und erst recht gesoffen, aber nichts dafür tun müssen, so lernt er es ja nie! Die Mutter Charlotte seufzte: Aber dafür hat der Herrgott ihm andere Gottesgaben gegeben, und mit den Gottesgaben muss er ja auch von Nutzen sein, und leben muss er schließlich auch!
Die Brüder verstanden es nicht und sagten: Gottesgaben, Gottesgaben, Schnaps brennen und saufen, was sind das für Gottesgaben? Klemens ist nichts als ein Drückeberger, und wir sollen ihn durchfüttern, und du steckst ihm noch das Geld zu!
Die alte Mutter Charlotte sah die Ungerechtigkeit nicht, und so wuchs der Zorn von Balduin und Dagobert und Konrad und den anderen an jedem Tag ein wenig mehr, und sie nannten meinen Großvater Klemens einen Simpel und einen Taugenichts, einen Langschläfer und einen Faulenzer, einen Säufer und
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