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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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meysch ganz verrückt.
    – Marie, hol mir mol die Kaffeebüchse, eysch will dir was geben.
    – Ach was, brauchst du nicht.
    – Doch, hol mir die Kaffeebüchse, ich brauche nicht mehr viel Geld. Dou willst dir doch vielleicht was Schönes kaufen, ein junges Mädchen braucht immer was.
    – Ach nee … obwohl.
    Mir fielen gleich drei Sachen ein: Es gab einen neuen Duft, der hieß Hallo Janine Day. My Melody hatte ich endgültig über mich ausgeschüttet. Vielleicht probierte ich einen neuen Lidschatten im Kaufhaus Schwenn. Und noch was fiel mir ein, das kostete genau sechzehn oder achtzehn Mark. Man konnte das Geld vorsichtshalber … Ich holte die Kaffeebüchse, und unter dem Nähgarn und den Flicken holte Oma zwanzig Mark heraus und drückte sie mir in die Hand.
    – Hier, hast du was. Aber verplempere et nicht an deinen Kirmeskerl. Wenn der schon eingesperrt war und beim Stelldichein besoffen es, dann taugt er nichts.
    Ich warf mich unzufrieden auf Opas Bett und zerdrückte das hohe Federbett, aber ich war noch nicht müde und wusste nicht, was ich mit dem angebrochenen Abend machen sollte. Ich betrachtete die blöden Zöpfe meiner Oma und sagte:
    – Morgen machen wir dir mal wieder einen ordentlichen Dotz, die Zöpfe, das sieht jo nichts aus.
    – Ach so ein Dotz, der es mir eigentlich zu schwer, seit Jahren schon, er zeyt mir den Kopf in den Nacken, ich kreyn ein steifes Genick …
    Irgendwie schien sie sich aufrichten zu wollen, um mir zu zeigen, wo im Nacken ihr der Dutt immer zu schwer gewesen war, oder vielleicht war ihr ganz allgemein der Körper ein wenig zu verknickt. Plötzlich stöhnte sie und meinte, ach, das sei doch alles Mist und sie müsse jetzt mal aufs Klo, einfach nur mal aufs Klo, aufs Klo!
    – Ja … dann … dann gehen wir doch, ich stütze dich, … eysch bringe dich hin!
    – Dou Schaf Gottes!!
    – Ja, tut es noch weh??
    – Et geht net! Garnet! Eych kaa garnet off de Kloo gieh!!
    – Ach.
    Ich konnte es mir nicht erklären. Die geheime Angelegenheit zwischen Krankenhaus, Gemeindeschwester, Gott und Bettdecke. Tatsächlich hatte ich Oma nie mehr auf das Klo gehen sehen, und stattdessen war die Gemeindeschwester mit geheimen Verrichtungen beschäftigt und mengte herum an der Stelle, wo Oma einen seltsam dicken Packen von Mull und Binden an der Seite hatte.
    – Oma, sey lassen dich schon nicht platzen. Irgendwo muss ja alles wieder heraus, die Kartoffeln und die Eier und die Möhren …
    – Ja, aber wo!! Das es doch unnatürlich, widernatürlich, wider die Natur!!
    Da begriff ich erst, wie sich alles verhielt und welchen Weg man meiner Großmutter zugemutet hatte und dass dieser Ausweg wohl endgültig sein sollte.
    – Da werd ich nicht mit fertig!!!
    Im Augenblick, wo sie das sagte, erschien ein feuchter Glanz auf ihrem Gesicht, ein beinahe bläulicher Schimmer, der sie durchsichtig machte, und gleichzeitig schien sie vor lauter Anstrengung und Abwehr ein wenig anzuschwellen. Es war, als wollte sie diesen Körper mit seinen unsäglichen Ausscheidungen an der verkehrten Stelle irgendwo am Bauch abstrampeln oder forttreten. Aber er blieb an ihr kleben, und das Leben in ihr wurde schwächer und wich aus ihrem Blut und ihrem Geist. Sie fing an, den Kopf nach links und rechts zu drehen, und sagte, die Mücken, die machten sie verrückt, aber es waren gar keine Mücken da, nicht eine einzige.
    – Die sollen sich fortmachen, sagte sie. Wech, all … all, ab!
    Und ich sah, wie sie sich wehrte und wehrte und nach jemandem schlug, aber ich war mir nicht sicher, wen sie sah in ihrem Geiste.
    Am nächsten Tag saß Jim vor dem Kaufhaus Schwenn auf einem steinernen Blumenkübel mit einem dürren Rhododendron und wartete.
    Wir kamen mit der ganzen Familie im Auto angefahren, um einzukaufen, Pullover oder Tischdecken oder neue Schuhe oder Schulranzen oder Lockenwickler, was man eben braucht. Jim hatte gewusst, dass wir samstags immer da waren und seit elf Uhr herumgelungert.
    Mein Herz machte einen Satz, und ich hoffte, dass mich mein Bruder nicht verriet, der die ganze Sache vom Schulhof her schon gepeilt hatte, aber natürlich fing er sofort an zu singen: »Love me tender«.
    – Seid nicht so albern, sagte mein Vater und parkte ein, und sobald wir alle im Schwenn waren, lief ich durch den Hintereingang wieder nach draußen und fiel meinem Jim in die Arme.
    – I am so sorry, Marree, flüsterte er. Marree, I was so drunk, like ten bottles of rum, I’been waiting soo long … dänn ick

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