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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorentz Iny
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sie sich für diesen selbstsüchtigen Gedanken, wusste sie doch, wie wichtig eine solide Ausbildung für das Mädchen war. Würde es keine Schule in der Schweiz besuchen, gäbe es immer Gerede, die Komtess Retzmann sei ein unerzogenes Geschöpf.
    »Es tut mir leid, es sagen zu müssen, doch ich kann dir nicht alles beibringen, was du dir in unseren Kreisen an Wissen und Fertigkeiten aneignen musst«, sagte sie daher.
    Nathalia stampfte mit dem Fuß auf, so wie sie es in ihren früheren Trotzphasen gemacht hatte. »Aber du bist auch nicht auf eine dieser komischen Schulen gegangen und weißt dich trotzdem so zu benehmen, wie es sich gehört!«
    »Meine Eltern, vor allem aber mein Großvater haben mich den Wert höflichen Wesens gelehrt und alles, was ein Mädchen aus einer Familie von Landedelleuten wissen sollte. Dennoch habe ich mir oft gewünscht, ich hätte eine solche Schule besuchen können, denn bei gewissen Dingen bin ich unsicher, ob ich richtig handle oder nicht.«
    Als weiteres Argument fügte Lore an, dass sie dort Freundschaften schließen könne, die das ganze Leben hielten. »Denke nur daran, was ich dir über meine ersten Monate in Berlin erzählt habe«, fuhr sie fort. »Ich kannte niemanden und wurde auch von niemandem eingeladen. Stattdessen konnte diese unsägliche Malwine mich bei allen Leuten schlechtmachen.«
    »Pah!«, war Nathalias Antwort. »Die Gänse, die in diesem Internat sind, will ich nicht als Freundinnen haben. Ich …«
    »Schluss jetzt!«, fiel ihr Dorothea Simmern ins Wort. »Du kehrst in das Internat zurück. Damit es dir leichter wird, werden Lore und ich dich in die Schweiz begleiten. Mein Arzt hat mir einen längeren Kuraufenthalt dort angeraten, damit ich meinen Gatten vielleicht doch noch mit einem Kind erfreuen kann. Ein Aufenthalt in einer angenehmen Gegend und Spaziergänge in freier Natur sind auch das beste Heilmittel für Lores angegriffene Nerven.«
    Lore lag schon auf der Zunge, zu erklären, dass ihre Nerven keineswegs angegriffen wären. Doch da auch ihr klar war, dass Nathalia niemals ohne sie in die Schweiz zurückkehren würde, schenkte sie Dorothea ein verstehendes Lächeln. »Ich würde mich freuen, dich begleiten zu können, denn ich fühle mich wirklich ein wenig matt. Gewiss wird die Frau Direktorin die Freundlichkeit besitzen, uns Nathalia an den Sonntagen zu überlassen. Es wäre doch schön, wenn wir zuerst gemeinsam den Gottesdienst besuchen und dann einen Ausflug machen könnten. Erinnert ihr euch noch an unseren letzten Aufenthalt in der Schweiz, als uns die Träger mit Sänften zu jener Hütte am Berg hochgetragen haben? Dort gab es Gerstensuppe, Schinken und luftgetrocknete Würste zu essen, und das Bier war köstlich.«
    Nathalia begann bei dieser Vorstellung zu kichern, sah die beiden Frauen jedoch misstrauisch an. »Ihr kommt also wirklich mit und bleibt dort?«
    »Vielleicht nicht das ganze Jahr, aber doch etliche Wochen«, versprach Dorothea, während Lore durchaus Gefallen an dem Gedanken fand, länger in der Schweiz zu bleiben.

XV.
    W ochen vergingen, ohne dass Fridolin Nachricht von Lore erhielt. Seine Sorgen um sie wurden immer größer. Die Angst, sie würde nie mehr zu ihm zurückkehren, drückte ihn nieder. Der einzige Mensch, mit dem er über sie reden konnte, war Marys Ehemann Konrad. Dieser hielt Briefkontakt zu Dorothea und Thomas Simmern und vermochte Fridolin daher zu berichten, dass es Lore gut ging.
    »Sie ist letzte Woche mit Dorothea zusammen in die Schweiz gefahren, um Nathalia ins Internat zu bringen. Wie es aussieht, hat die junge Dame sich gesträubt, dorthin zurückzukehren.« Konrad grinste bei dem Gedanken, doch Fridolin machte eine unwirsche Handbewegung.
    »Lore ist in der Schweiz, sagst du? Da ist sie ja noch weiter weg als in Bremen!«
    »Da du derzeit weder nach Bremen noch in die Schweiz fahren kannst, sollte dir die Entfernung gleichgültig sein. Außerdem würde Dorothea es dir nicht raten. Lore ist immer noch sehr gekränkt, und das kann ich verstehen. Wäre ich in einen Mordfall in einem Bordell verwickelt worden, würde Mary mir den Koffer vor die Tür stellen.« Konrad lachte über die Vorstellung und schenkte ihm und Fridolin Wein ein. »Trink einen Schluck, aber nicht mehr! Oder willst du, dass Lore, wenn sie zurückkommt, einen haltlosen Säufer vorfindet?«
    Dieser Vorwurf war nicht unberechtigt, das sah Fridolin ein. In den letzten Wochen hatte er seinen Kummer nicht nur ein Mal in Wein und Cognac

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