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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorentz Iny
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Trepkow versuchte aufzustehen, sank aber sofort wieder zurück. »Ich bin zu matt, mein Kind. Du wirst mir helfen müssen.« Caroline eilte zu ihr und geleitete sie zum Tisch. Während Fiene sich freute, dass das Abendessen an diesem Tag nicht ausfallen musste, betrachtete ihre Herrin das unverhoffte Mahl mit zweifelndem Blick. »Wie bist du zu diesen Sachen gekommen?«
    »Ich war heute bei der englischen Schneiderin, um sie zu fragen, ob ich nicht zu Hause für sie nähen kann, und habe sofort den Auftrag bekommen, ein Kleid für eine Kundin zu nähen. Die Lebensmittel hier hat mir Freifrau von Trettin mitgegeben.« Caroline wagte es nicht, ihrer Mutter in die Augen zu sehen, da sie sich wie eine Bettlerin fühlte, der eine mitleidige Seele ein Almosen zugesteckt hatte.
    Fiene betrachtete die Sache pragmatischer, schnitt mehrere Scheiben von dem Brot ab und legte sie den beiden Damen vor. Zu
     trinken gab es Leitungswasser, das mit einem winzigen Schuss Holundersaft veredelt wurde. Dieses an sich frugale Abendessen
     erschien der alten Frau wie ein Festmahl.
    Caroline, die bereits bei Lore etwas zu sich genommen hatte, hielt sich zurück. Während sie langsam auf einem winzigen Stückchen Brot kaute, dachte sie nicht zum ersten Mal darüber nach, dass Fiene, die ihren siebzigsten Geburtstag bereits hinter sich hatte, trotz der schweren Arbeit, die sie zeitlebens hatte leisten müssen, jünger und gesünder aussah als ihre Mutter. Diese war gerade erst fünfzig geworden, wirkte aber mit ihrem eingefallenen Gesicht, dem abgemagerten Körper und den früh weiß gewordenen Haaren wie eine Greisin. Daran war nicht allein der Hunger schuld, sondern es waren auch die Sorgen, die ihr das Leben vergällten.
    Caroline seufzte, als sie an ihren Vater dachte. Er hatte als Offizier ein fröhliches Leben geführt und nicht darauf geachtet, dass seine Ausgaben in keinem Verhältnis zu den Erträgen des Gutes standen. Da auch sein Sohn als Offizier standesgemäß hatte auftreten wollen, war das Gut schließlich überschuldet gewesen und zwangsversteigert worden. Frau von Trepkow hatte mit leeren Händen dagestanden und von Glück sagen können, dass ein entfernter Verwandter ihr wenigstens eine kleine Rente zukommen ließ, von der auch die Tochter und die ihnen treu ergebene Magd leben mussten.
    Obwohl es eine Sünde war, hatte Caroline mehr Erleichterung denn Trauer verspürt, als der Vater nach einem Zechgelage vom Schlag getroffen worden war und kurz darauf verstarb. Damals hatte sie gehofft, nun werde alles besser. Sie hatte jedoch nicht mit ihrem Bruder gerechnet, der die Liebe seiner Mutter schamlos ausnützte, um ihr den größten Teil der schmalen Rente abzunehmen und für seine Zwecke zu verwenden. Von dem Geld, das sie durch ihre Näharbeiten verdienen konnte, würde er nicht einen Pfennig zu sehen bekommen. Das schwor Caroline sich in dieser Stunde.
    Als hätte ihre Mutter ihre Gedanken gelesen, blickte sie in diesem Moment auf. »Weißt du, was mit Friedrich los ist? Er ist schon seit zwei Wochen nicht hier gewesen.«
    »Wegen mir bräuchte er gar nicht mehr zu kommen«, murmelte Fiene, die wusste, dass der junge Herr bei seinen Besuchen der gnädigen Frau auch noch den letzten Groschen aus der Tasche holte.
    Auch Caroline sehnte sich nicht gerade danach, den Bruder so schnell wiederzusehen, doch das durfte sie der Mutter nicht sagen. Daher erklärte sie nur, seit seinem letzten Besuch nichts von ihm gehört zu haben. Nach dem Essen half sie der Mutter zurück in den Sessel, setzte sich selbst auf einen schon recht wackeligen Stuhl und begann die Modezeichnungen zu studieren, die Freifrau von Trettin ihr mitgegeben hatte. Das gewünschte Kleid war recht einfach geschnitten, und so traute sie es sich zu, es in kurzer Zeit fertigzustellen.
    Frau von Trepkow rümpfte zwar die Nase, als sie ihre Tochter bei so einer profanen Arbeit sah, sagte sich aber, dass es ihr auf diese Weise leichter fallen würde, ihrem Sohn die gewünschte Unterstützung zukommen zu lassen. Immerhin war er als Offizier darauf angewiesen, seinem Rang gemäß aufzutreten, und sie wollte nicht, dass er unter dem Leichtsinn des Vaters zu leiden hatte. An ihr eigenes Wohlergehen und das ihrer Tochter, die in weitaus stärkerem Maße litt, verschwendete sie keinen Gedanken.

XVII.
    E igentlich hätte August Grünfelder zufrieden sein können. Noch nie waren so viele hochrangige Herrschaften seiner Einladung gefolgt wie an diesem Tag. Doch sein

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