Aprilgewitter
Darling, aber es geht nicht. Wenn die Leute dich mit mir, der Schneiderin Mary Penn, zusammen im Wagen sehen, werden sie den bösen Gerüchten über dich Glauben schenken.«
Lore fauchte wie eine gereizte Katze. »Ich habe nicht vor, meine Freundschaft mit dir zu verleugnen!«
»Mary hat recht!«, schaltete sich Konrad ein. »Du hast als Freifrau von Trettin nun einmal deinen Ruf zu wahren. Das tut deiner Freundschaft zu uns gewiss keinen Abbruch, denn es gibt genügend Möglichkeiten, uns gemeinsam zu vergnügen. Aber wenn du in die Stadt fährst, musst du auf Fridolins Ansehen Rücksicht nehmen. Immerhin hat er dir erlaubt, weiterhin Marys Teilhaberin zu sein.«
»Ja, nach hartem Kampf«, antwortete Lore mürrisch, musste sich aber Konrads Argumenten beugen. In Bremen hatten Mary und sie in einem Wagen ausfahren können, doch in dieser Stadt, in der man die Nasen höher trug als an allen anderen Orten Preußens, war dies unmöglich.
»Also gut, dann fahre ich eben alleine«, erklärte sie mit einem leisen Seufzen.
»Das halte ich auch nicht für gut! Es würde dich nur der unziemlichen Aufmerksamkeit fremder Männer ausliefern. Weißt du was? Fräulein von Trepkow wollte heute kommen und das neue Kleid abliefern. Ich werde sie fragen, ob sie nicht Lust hat, morgen mit dir auszufahren! Wenn du willst, wird das Dienstmädchen nun Jonny holen, damit du mit ihm spielen kannst.« Mary hoffte, ihre Freundin damit zur Vernunft zu bringen, denn Lore wirkte heute wie jener störrische Esel, den sie letztens im Tiergarten gesehen hatte.
»Und was ist, wenn es morgen regnet?«
Mary bedachte sie mit einem Blick, als säße ein uneinsichtiges kleines Kind vor ihr. »Dann fahrt ihr eben ein andermal, wenn die Sonne wieder scheint. Oder hängt dein Herz so daran, noch heute zu flanieren? Da wüsste ich ein Gegenmittel. Eine russische Gräfin, deren Mann zur hiesigen Botschaft des Zarenreichs gehört, wünscht sich eine bestickte Bluse. Sie hat mir das Stickmuster hier gelassen. Wenn du Lust hast, kannst du die Arbeit für mich übernehmen.«
Lore überlegte kurz und nickte. »Also gut, ich besticke die Bluse. Kann ich das hier bei dir tun, oder muss ich damit nach Hause fahren?«
»Du kannst gerne bleiben. Ich komme ohnehin zum Mittagessen zurück, dann können wir ein wenig schwatzen. Aber jetzt muss ich ins Geschäft. Frau Pfefferkorn wollte heute früh zur Anprobe kommen.«
»Ich komme mit dir!« Hede Pfefferkorn war eine interessante Frau und strahlte etwas aus, was nicht den gesellschaftlichen Normen entsprach. Eine Bekanntschaft mit ihr zu suchen war daher unmöglich. Trotzdem reizte es Lore, sie wiederzusehen und vielleicht sogar mit ihr zu plaudern.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist!« Mary wand sich ein wenig, doch wie meist gab sie ihrer Freundin nach. Da die Zeit drängte, eilte Konrad selbst hinaus, um eine Droschke zu besorgen.
Hede Pfefferkorn wartete bereits ein Stück vom Eingang des Modesalons entfernt auf Mary. Auch wenn Mary nicht die gleiche Sympathie für diese Dame aufbringen konnte wie Lore, befleißigte sie sich ihr gegenüber derselben Höflichkeit, die sie allen Kundinnen zuteilwerden ließ. »Entschuldigen Sie, dass es etwas gedauert hat, aber Freifrau von Trettin wollte sich ein paar Modezeitschriften abholen, die ich ihr versprochen hatte. Ich habe sie zu Hause gesucht und dann erst gemerkt, dass ich sie gestern Abend im Laden vergessen habe.«
»Sie müssen sich nicht rechtfertigen, liebe Mrs. Penn. Im Grunde liegt die Schuld bei mir, denn ich bin etwas zu früh!« Hede lächelte ein wenig müde, denn die Nacht war wieder lang geworden, überdies hatte sie einen heftigen Streit zwischen zwei Mädchen schlichten müssen, die sich wegen der Aufteilung eines Trinkgelds in den Haaren gelegen hatten. Allmählich spürte sie die langen Nächte. Zwar versuchte sie jeden Morgen bis in den Nachmittag hinein zu schlafen, doch der Lärm, den die eisenbereiften Wagenräder auf dem Straßenpflaster machten, der Hufschlag der Pferde und die derben Stimmen der Kutscher rissen sie immer wieder hoch.
Während ihr diese Gedanken durch den Kopf schossen, folgte sie Mary und Lore in den Laden. Dabei fragte sie sich, weshalb Fridolins Frau tatsächlich mitgekommen war. Hatte diese vielleicht erfahren, dass ihr Mann in letzter Zeit ein paarmal bei ihr Entspannung gesucht hatte? Wenn dies der Fall war, schien sie es leicht zu nehmen, denn ihre Miene war freundlich, und sie lächelte sie sogar
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