APROPOS JANE ROBERTS - ERINNERUNGEN EINER FREUNDIN (German Edition)
sind Janes Tagebücher; wenn ich schon aus welch schöngeistigen Gründen auch immer darin herumschnüffle (und wie offen sie auch dank Robs mutigem Entscheid für alle Archiv-Benutzer sind), dann darf ich mich auch kaum darüber beklagen, was ich darin finde.
Zufällig geschieht im gleichen Zeitrahmen, da ich zum ersten Mal Janes Tagebücher durchblättere, ein Todesfall: Einer meiner alten Freunde aus der Oberschulzeit bringt sich um und lässt eine Menge persönlicher Papiere und einen Computer voller Mitteilungen und Botschaften zurück, die natürlich von seiner Familie gelesen werden, wie das wohl jeder tun würde – wie ich es ja hier auch tue. Erwartungsgemäß reagiert die Familie mit einer neuen Welle von Trauer und empörten Fragen über sein persönliches Leben, und ich selbst finde mich hin- und hergerissen zwischen dem überheblichen Urteil über den Umgang mit einem Nachlass, der nicht für fremde Augen bestimmt ist (wie können sie es wagen, die Würde meines Freundes zu besudeln, sage ich naserümpfend und wende mich einer Passage zu, in der Jane die Daten und den Umfang ihrer Monatsregeln auflistet), und zwischen einem erbärmlichen Verlangen zu wissen, was die Familie entdeckt hat und sogar selbst seine Papiere durchzusehen; alles über jemanden zu wissen, mit dem man durch eine vierzigjährige Freundschaft verbunden war und der einem nichts über die Schatten in seinem Herzen enthüllte – ganz ähnlich wie es bei Jane war. Die Realisierung, dass es zu spät dafür ist, dreht mir den Magen um und unter Tränen suche ich in Janes Texten nach meinem Namen.
KAPITEL 4
Ein wenig Autobiographie
Was meine eigene Erziehung betrifft, brachte es Jane in den Jahren unserer Freundschaft überdeutlich zum Ausdruck, dass sie meine Herkunft als privilegiert, wenn nicht sogar als luxuriös betrachtete, weit entfernt von ihren eigenen Not- und Mangelerfahrungen, und diese Beurteilung war sicher korrekt – oberflächlich betrachtet. Aber unterhalb dieses scheinbar so deutlichen und offensichtlichen Unterschieds bestand zwischen Jane und mir ein psychologischer und irgendwie merkwürdig umgekehrter Zusammenhang.
Ich wurde 1945 in Elmira geboren, als einziges Kind finanziell gut situierter, aber für jene Zeit ziemlich exzentrisch veranlagter Eltern. Religion war für sie Schwachsinn; sie gaben keinen Deut auf den gesellschaftlichen Status, zu dem sie problemlos Zugang hatten, und obwohl wir in einem vom Keller bis zum Dachboden mit Antiquitäten, Büchern und Möbeln voll gestopften Haus lebten, schienen ihnen materielle Besitztümer nicht viel zu bedeuten – das Zeug war einfach da, das meiste davon ererbt. Nach dem Tode meiner Großmutter waren wir dort eingezogen, um uns um unseren Großvater und sein Gutshaus auf dem vier Hektaren großen Grundstück in Webbs Mills zu kümmern, einem idyllischen kleinen Ort, sechs Meilen südlich von Elmira gelegen. Mein Vater war Geschäftsführer einer Autozubehörfabrik, die in den Zwanzigerjahren von seinem Vater, dem Sohn eines irischen Emigranten, mitbegründet worden war. Meine Mutter, die eine klassische Ausbildung in Altphilologie genossen hatte und die ganze Brocken lateinischer und griechischer Texte im Original deklamieren konnte, las ständig, pflanzte ausgedehnte, wunderbare Blumengärten, nahm mich auf unzähligen Naturspaziergängen mit, löste das New York Times-Kreuzworträtsel fehlerlos mit Tintenstift, pflegte ein intensives Interesse an Vögeln sowie an allen schrägen menschlichen Originalen der Umgebung und schien in meiner Erinnerung immer an etwas anderes zu denken, ein Geisteszustand, den ich später sehr zu schätzen lernte. Ihre Kindheit war schwierig und unsicher gewesen, mit einer begabten und unglücklichen Mutter, die zwischen wilden Beschimpfungen und liebevollen Entschuldigungen hin- und herschwankte (ähnlich wie Marie Roberts). Aber meine Mutter sprach immer voller Zuneigung von ihren Eltern und ihrem Aufwachsen während der harten Zwanziger- und Dreißigerjahre im Gebiet von Elmira und den Finger Lakes. Ihre eigenen unvollendeten Memoiren sind voller Optimismus und Humor.
In den Jahren, bevor das Fernsehen die ganze Welt beherrschte, verbrachten wir lange angenehme Abende mit Radiohören, Kartenspielen oder bei verschiedenen Hausarbeiten, lasen oder diskutierten über die neuesten Nachrichten oder über aktuelle ethische Fragen und erzählten und wiederholten Familiengeschichten. Während Jahren führten meine Eltern eine laufende
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