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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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seine Brandwunden bestimmt im Krankenhaus versorgen lassen, und der andere hatte vielleicht ein bis zwei Rippen gebrochen, vielleicht noch eine verletzte Lunge. Chandler schämte sich ein bisschen, als er bemerkte, dass ihn der Gedanke befriedigte.
    Aber möglicherweise waren sie doch nicht so schwer verletzt, wie er es hoffte. Möglich, dass sie sich zusammengerissen hatten und schon jetzt wieder nach ihm Ausschau hielten.
    Es war ein Uhr morgens. Er riskierte eine Lungenentzündung und Gott-weiß-was: Er musste handeln.
    Er stand auf und ging langsam hinüber zum Harvard Square Dort war es heller – was von Vorteil oder von Nachteil sein konnte. Falls sie nach ihm suchten, war er jetzt zu sehen. Doch er fand dort vielleicht auch Hilfe. Der Platz war feucht und ziemlich verlassen. Aus Brigham’s Eisdiele drang Licht. Wer waren die Leute die sich zu dieser späten Stunde dort aufhielten?
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    Was, zum Kuckuck, sollte er bloß tun?
    Wie durch göttliche Fügung fand er ein Zehn-Cent-Stück in der Tasche seines Bademantels. Er hatte keine Ahnung, wie es dort hingekommen war, aber es war da. Er blieb unter der Markise des Universitätstheaters stehen und lehnte sich im Schatten an die Wand. Eigentlich müsste er die Polizei anrufen und erzählen, was passiert war. Bei dieser Vorgehensweise gab es jedoch ein Problem: Er wusste nicht, auf wessen Seite die Polizei stand.
    Am Ende fand er auf halbem Weg zur nächsten Querstraße eine Telefonzelle und rief Hugh Brennan an.
    Keine Antwort. Er ließ es zwanzigmal läuten – ohne Erfolg.
    Brennan war vermutlich auf der Pirsch und blieb die Nacht über weg. Es war Viertel nach eins. Es war kalt. Er rieb sich die Hände. Wen konnte er anrufen? Er hatte einen Geistesblitz: die unsägliche Polly Bishop! Sie war schuld an dem Desaster, sie hatte ihn mit hineingezogen. Es war nur recht und billig, wenn sie ihn rauspaukte. Was hatte sie gesagt, als sie am Fuß der Treppe standen? Wenn irgendwas passiert – und glauben Sie mir, in Mordfällen passiert immer was … Rufen Sie mich an, zu Hause oder im Studio.
    Na gut, Polly. Du hast es so gewollt! Deine sehnlichsten Wünsche haben sich erfüllt. Den ganzen Tag ist was passiert.
    Leider stand sie nicht im Telefonbuch. Auch bei der Auskunft war sie nicht registriert. Fluchend rieb er sich die Nase und spürte, wie ihm warmes Blut in den Hals und über die Oberlippe rann. Er schniefte. Scheiße! Weil ihm nichts Besseres einfiel, rief er Kanal 3 an. Eine jüngere Stimme, der man die Müdigkeit und den Zigarettenkonsum anhörte, antwortete. Chandler bemühte sich, überzeugend zu wirken: Er sei ein alter Freund Pollys von der Küste, er sei gerade am Flughafen angekommen, er habe ihre Telefonnummer vergessen.
    »Polly Bishops Nummer? Moment mal. Ein alter Freund sind Sie? Aus ihrer Heimatstadt Biloxi?«
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    »Ja, aus Biloxi.«
    »Dass ich nicht lache! Hören Sie, großer Junge aus Biloxi; haben Sie eine Ahnung, wie viele Kerle Polly Bishops Nummer von uns wollen? Hunderte, buchstäblich Hunderte jeden Monat!
    Jeder zweite Hengst in Boston will sie, und jeder ist ein alter Freund … Biloxi! Damit kaufe ich sie mir immer. Pech gehabt, mein Lieber. Ich habe ihre Nummer gar nicht. Und wissen Sie, was ich machen würde, wenn ich sie hätte? Ich würde sie selber anrufen!«
    Wütend und deprimiert schlug er mit der Faust gegen die Scheibe der Telefonzelle. »Scheiße, Scheiße, Scheiße«, sagte er laut. »Die Frau hat es verdient. Hoffentlich kann ich ihr noch eins auswischen!« Alles war ihre Schuld. Ohne sie wäre das alles nicht passiert. Plötzlich hatte er einen Einfall. Etwas weit hergeholt, aber besser als gar nichts. Alles war jetzt besser als gar nichts.
    Er hielt sich den Bademantel zu und lief rasch über die nasse Straße zum Yard, wobei ihm wieder sein erstes
    Zusammentreffen mit Bostons Antwort auf … auf … Heiland, jemand wie sie war ihm noch nie begegnet. Er drückte sich an der Matthews Hall entlang zu der Stelle, an der sie ihn interviewt hatte und blieb am Fuß der Treppe stehen. Schritte kamen näher. Mit klopfendem Herzen sah er sich vorsichtig um.

Ein Student ging vorüber. Er pfiff leise vor sich hin und nahm keine Notiz von dem sonderbaren Vogel im Bademantel.
    Als er wieder allein war, kniete er sich schniefend auf den Gehsteig und tastete unter den Büschen herum. Seine Finger wühlten im Dreck zwischen den Wurzeln und den nassen verrotteten Blättern vom vergangenen Herbst. Sie musste einfach hier sein! Aber

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