Arabellas Geheimnis
Was seine Zukunft betraf, würde natürlich der König das letzte Wort haben. Die Ansicht des Monarchen würde also wichtiger sein als die aller anderen. Doch bis zur Rückkehr nach England würde Tristan sich mit den böhmischen Edelfrauen und der Art, wie sie über ihn dachten, auseinandersetzen müssen. Den ganzen Tag über hatte er an nichts anderes denken können – selbst als er aus Prag die Nachricht erhielt, dass Ivan Litsen geflohen war.
Mehr denn je musste er jetzt wachsam sein und für die Sicherheit von Annes Gefolge sorgen. Aber seine Gedanken waren woanders.
Entschlossen, Arabella dazu zu bringen, die Wahrheit zu begreifen, probierte Tristan aus, ob der Ast eines nahen Obstbaums sein Gewicht hielt. Auch wenn der Stamm des Baums schlank war und der Frost das Holz spröde machte, trug der Baum ihn, bis er das mit Ornamenten verzierte steinerne Geländer packen konnte, das den Balkon umgab.
Er zog sich über die Mauer und spähte durch die schmale Scheibe aus blauem Glas neben der Tür zu Arabellas Gemach. Drinnen erblickte er Arabella, die sich das Haar bürstete und die offenen Locken glatt strich. Auf einer Truhe neben ihrem Stuhl brannte eine Kerze. Die Falten eines blauen Samtgewandes bauschten sich um ihre Füße, und schwere weiße Spitze an ihrem Hals ließ das Nachtkleid erahnen, das sie darunter trug.
Tristan hatte sie nicht in solch einem intimen Augenblick stören wollen, aber er bereute auch nicht, sie so zu sehen. Trotzdem würde seine Gegenwart sie erschrecken, und das bedauerte er.
Er fluchte leise, und der Laut hatte anscheinend genügt, um Arabella aufmerken zu lassen, denn sie wandte sich zu der Balkontür um. Nachdem sie die Bürste neben die Kerze gelegt hatte, trat sie zu der Glasscheibe.
Tristan zog sich in die Dunkelheit zurück, damit sie ihn nicht entdeckte, bevor sie die Tür öffnete. Dann, noch bevor sie reagieren konnte, presste er ihr die Hand über den Mund und hielt sie fest an sich gedrückt. Sie erstarrte. Leise flüsterte er ihr ins Ohr.
„Ich will Euch nicht wehtun, Arabella. Ich bin es, Tristan. Ich muss mit Euch sprechen.“
Er hatte gehofft, diese Worte würden sie beruhigen, doch da hatte er sich getäuscht. Sie bebte unter seinen Händen. Er nahm die Hand von ihrem Mund, ließ aber nicht ihre schlanke Taille los.
„Habt Ihr Euch auf diese Art auch dem letzten Mädchen genähert, das Ihr verführtet, Sir?“ Im Mondlicht durchbohrten ihn ihre Blicke wie Dolche, als sie jetzt über die Schulter zu ihm aufschaute.
„Nein.“ Er löste sich von ihr und vermisste es bereits, sie zu spüren, noch bevor der Samt seinen Händen entglitt. „Aber ich wusste auch genau, dass Lady Rosalyn kein Mädchen mehr war, als sie sich in jener Nacht in meiner Kammer versteckte.“
Bitterkeit schnürte ihm fast die Kehle zu, und er schluckte sie mühsam hinunter.
„Habt Ihr eigentlich eine Vorstellung davon, wie sehr Ihr mich durch Eure Anwesenheit kompromittiert?“ Arabella warf rasch einen Blick in den leeren Garten hinunter, bevor sie Tristan in ihre Kammer und fort aus dem Mondlicht zog.
„Ja. Das ist mir völlig klar. Rosalyn de Clair handelte nach demselben Plan, allerdings aus persönlichem Interesse.“
Arabella schwieg einen Moment lang. Tristan fragte sich, ob sie sich die Zeit nahm, sich ein Szenario auszumalen, an das zu denken sich niemand sonst die Mühe gemacht hatte. Aber seine Hoffnung schwand, als sie jetzt den Kopf schüttelte.
„Es ist nicht meine Aufgabe zu entscheiden, ob Ihr schuldig oder unschuldig seid. Bessere Frauen als ich tragen dafür die Verantwortung, und wie es scheint, lässt Euer Dementi sie nicht schwankend werden.“ Sie sah über die Schulter zur Tür, die zum Gang hinausführte, beugte sich dann nieder und begann, eine schwere Bank in Richtung Tür zu rücken.
„Lasst mich das tun.“ Tristan drängte sie sanft zur Seite und stellte die Bank so, dass niemand sie unverhofft stören konnte. Allerdings wunderte er sich ein wenig darüber, dass sie sich mit ihm in ihrem Gemach einschloss. Es war zu erkennen, dass ihr guter Ruf für sie schwerer wiegte als ihre Angst vor dem, was er vielleicht tun könnte, wenn sie allein waren.
„Was wollt Ihr hier, Tristan?“
„Ich komme, weil ich Eure Hilfe brauche.“ Innerlich fluchte er darüber, dass er ihre rosigen Zehen betrachten musste, die unter dem Samtgewand und dem Nachtkleid hervorlugten. Ihre nackten Füße erinnerten ihn an ihre Verletzlichkeit und die intime Situation, in
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