Arabische Nächte
religiös, obwohl das Schlachtfeld ihn Gottesfurcht gelehrt hatte; zweitens widerstrebte es ihm zutiefst, ein Objekt der Neugierde abzugeben. Und genau das war er nun. Die Zahl der Gläubigen hatte sich zwischen Eingangslied und Predigt verdoppelt. Zweifellos waren noch zögernde Pfarrkinder aus ihren Betten gesprungen, als sich die Kunde im Dorf verbreitete, der neue Viscount Shrewsbury befände sich unter den Kirchgängern. Ein stetiger Strom verspäteter Gemeindemitglieder füllte das Gotteshaus zum Bersten.
Da der Kirchenstuhl der Shrewsburys mit dem verzierten Gatter und den Samtkissen im rechten Winkel zu den übrigen Bänken stand, bot sich den Gläubigen ein ungehinderter und ständiger Blick auf die Herrschaften in ihrer Mitte. Am liebsten hätte er sich den Hut vorgehalten, um sein linkes Profil zu schützen; denn die Blicke, die ihn trafen, reizten seinen Zorn. Obwohl seine im Schoß liegende Hand unsichtbar blieb, war sicher niemandem entgangen, dass seine Rechte fehlte. Sie hatte an diesem Morgen bereits einen Zwischenfall provoziert.
Mylord presste die Lippen zusammen. Just als er aus dem Frühstückszimmer kam, war die plumpe Shrewsbury— Schwester, die er ungalant insgeheim als >Kamel< bezeichnete, auf ihn zugeeilt, den Schal, den er für Japonica gekauft hatte, um die Schultern.
Sie hatte beim Lächeln Grübchen sehen lassen und sich überschwänglich für das »großartige Geschenk< bedankt. Und die ganze Zeit über hatte dieses Biest den Schal so fest um die Schultern gezogen, dass ihr ausladender Busen noch mehr hervortrat. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, welche Reize weiblicher Anatomie sie gezeigt hätte, wären ihr die Schachteln mit dem Hemd und den Strümpfen in die Hände gefallen.
Sodann hatte sie ihn mit einem wissenden Blick bedacht und gesagt: »Ich möchte zu gern wissen, was Sie unserer neuen Stiefmutter brachten. Sie ist ja ein schieres Wunder, unsere neue Mama. Man möchte meinen, sie sollte ein eigenes Kind zum Üben haben. Aber natürlich ist das ganz unmöglich, oder? Eine so gute Ersatzmutter, und so unerfahren auf diesem Gebiet!«
Er merkte sofort, dass ihre W orte falsch waren; doch konnte er sich nicht denken, warum sie sich ihm genähert hatte. Dann ließ sie ihr Taschentuch fallen - ein uralter Trick beim Flirten, und er hatte begriffen: Sie wollte kokettieren.
Da es unmöglich war, darauf nicht zu reagieren, bückte er sich, um das Tüchlein aufzuheben und ihr zurückzugeben. Da bemerkte sie seinen Armhaken. Die Überraschung in ihrer Miene wirkte echt, doch dann fing sie an, wie eine versengte Katze zu kreischen. Ihre Ohnmacht geriet ein wenig anmutiger, wenn auch als absichtlicher Plumps; doch er war zu verärgert, um auch nur seine Hilfe anzudeuten. Er bemerkte, dass sie sich den Kopf nicht anschlug, als sie fiel.
Ihre älteste Schwester, der pferdegesichtige Drachen, der nun links von ihm in der Kirchenbank saß, war rechtzeitig zur Stelle gewesen, um ihre Schwester vom Boden aufzuklauben. Über die Gefühle, die sie ihm entgegenbrachte, konnte kein Zweifel bestehen. Sie saß so steif da und blickte so streng, dass er sich fragte, was passieren würde, wenn er ihre Schulter streifte. Sicher würde sie mit ihrem Ridikül auf ihn einschlagen. Und die anderen drei Schwestern hatten wie Giftpilze in der Kutsche gesessen und ihn nicht aus den Augen gelassen. Der Mirza selbst wäre keiner gründlicheren Musterung ausgesetzt gewesen.
Der einzige Mensch in seiner Gesellschaft, der sich noch weniger wohl zu fühlen schien, war die Dame zu seiner Rechten. In der letzten Stunde hatte er entdeckt, dass Lady Abbott eine angenehme dunkle Stimme besaß, die zwar für ländliche Weisen geeigneter sein mochte als für Choräle - doch gefiel sie ihm. Sie war ebenso nervös wie er, wie ihre behandschuhten Hände verrieten, die sie ständig faltete und löste, während sie auf der Unterlippe herumkaute. Offensichtlich stellte sie sich ebenso ungern zur Schau wie er.
Einen Seitenblick von ihm erwiderte sie nicht zum ersten Mal. Er hätte geschworen, dass sie bei ihm Zuspruch suchte, wenngleich ihre Lippen sich nicht öffneten. Mut sprach er ihr mit seinem Blick zu. Bald ist es ausgestanden. Und das ist gut so, dachte er stirnrunzelnd.
Sie war schuld, dass er in der Kirche saß. Nach der Dummheit mit Laurel im Frühstückszimmer hatte Lady Abbott ihn am oberen Ende der Treppe mit der Nachricht empfangen, dass sie entgegen seinem Wunsch nicht mit ihm nach London zu fahren
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