ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
Berührung des ae’Magi erfahren hatte, wenn auch nur kurz im Vergleich zu dem, was Wolf durchgemacht hatte, begann sie allmählich zu begreifen, warum Wolf so war, wie er war. Sie hatte jetzt viel mehr Geduld mit ihm – was jedoch nicht hieß, dass sie ihn kampflos wieder davonziehen lassen würde.
»Hat die alle unser Lehrling geschrieben?« Aralorn deutete auf die Bücherstapel, bevor sie damit fortfuhr, die Klinge ihres Messers zu schärfen.
Wolf drehte sich um und musterte einen quälend endlosen Augenblick lang die Stapel. Schließlich knurrte er eine knappe Bestätigung und ging dann wieder in den Wald aus Bücherregalen zurück. Es war das erste Wort, das er, seit sie aufgewacht war, mit ihr gesprochen hatte.
Aralorn grinste, steckte ihr Messer wieder zurück in die Scheide und stemmte sich auf die Beine. Sie war immer noch unendlich schwach. Als sie das Regal direkt neben ihr durchstöberte, blieb ihr Blick an einem Buch über Gestaltwandler hängen. Sie nahm es heraus und wankte damit hinüber zum Tisch. Wolf hatte deutlich klargemacht, dass er es für angebrachter hielt, wenn sie ein paar Tage auf dem Sofa liegen blieb. Sie hatte jedoch keineswegs die Absicht, ihm den Gefallen zu tun; wenn sie allerdings hinstürzte, würde es mit ihm nicht mehr auszuhalten sein. Also hob sie sich das als letzte Verzweiflungsmaßnahme auf, falls er partout nicht mit ihr reden wollte.
Sie räumte sich ihren Stuhl frei und setzte sich. Nun, da sich die Suche nur mehr auf Bücher konzentrierte, die höchstwahrscheinlich mit Fallen versehen waren, hatte Wolf ihr verboten, ihm weiter zu helfen. Aralorn fand, dass sie sich, wenn sie sich schon nicht nützlich machen konnte, zumindest auf angenehme Weise die Zeit vertreiben konnte.
Wolf balancierte die Bücher, die er trug, auf einen anderen Stapel und sah sie danach argwöhnisch an. Er griff sich ihr Buch, warf einen kurzen Blick darauf und gab es ihr dann wieder.
»Ich dachte immer, Menschenmagier sollten ihre Geheimnisse streng unter Verschluss halten – und nicht jeden verirrten Gedanken, der ihnen durch den Kopf geht, aufschreiben.« Aralorn wies mit dem Kinn auf die Unmengen von Büchern, die er hübsch ordentlich aufeinandergetürmt hatte.
Er folgte ihrer Geste und seufzte. »Die meisten beschränken sich in ihren Schriften auf magische Komplikationen. Iveress allerdings hielt sich für einen Fachmann auf so ziemlich jedem Gebiet. Es finden sich hier Abhandlungen über alles Mögliche, von Butterherstellung über Glasbläserei bis hin zu Staatsphilosophie. Von den vier Büchern ausgehend, die ich von ihm schon durchgesehen hab, kann ich sagen, er ist ebenso langatmig wie brillant. Leider hatte er die ärgerliche Angewohnheit, mitten in seinen Traktaten in Betrachtungen über irgendwelche obskuren Zaubersprüche abzugleiten, wann immer der betreffende Spruch ihm in den Sinn kam.«
»Besser du als ich«, sagte Aralorn und ließ sich ihre Befriedigung darüber, dass sie ihn am Ende doch dazu gebracht hatte, auf sie einzugehen, nicht anmerken.
Nichtsdestotrotz schien sie es nicht gut genug verborgen zu haben. Aus schmalen Augen sah er sie an. »Nur weil seine Werke vor einigen Jahrhunderten als umstürzlerisch galten und von Magiern aus Sicherheitsgründen mit Zaubern belegt worden sind. Andernfalls hätte ich dich schon längst gebeten, mir bei diesem Chaos zu helfen.« Er machte wieder einen Schritt in Richtung Regale, blieb dann aber stehen. »Vielleicht sollte ich erst mal mit dem anfangen, was ich schon habe.«
»Es nützt nichts, sich mit einer endlosen Aufgabe nur zu demotivieren«, stimmte sie ihm zu.
Er knurrte irgendetwas, doch es klang nicht wirklich böse.
Sie grinste über seine sattsam vertraute Verdrießlichkeit – allemal besser als Schweigen –, setzte sich hin und widmete sich ihrem Buch. Es war faszinierend, doch nicht, auf die Art und Weise, wie die Verfasserin es wohl gedacht hatte. Bereits im Vorwort räumte sie ein, dass sie nie einem Gestaltwandler begegnet war. Dessen ungeachtet betrachtete sie sich als Expertin. Die Geschichten, die sie am liebsten mochte, waren die, in denen Gestaltwandler als »mächtiges, möglicherweise mythisches Volk« dargestellt wurden, dessen Hauptbeschäftigung anscheinend darin bestand, unschuldige Kinder, die sich im Wald verirrt hatten, zu fressen.
»Wenn ich die Angehörige eines mächtigen, möglicherweise mythischen Volkes wäre«, murmelte Aralorn, »würde ich mich nicht damit aufhalten, kleine
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