ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
einfacher gewesen, die Unterkunft auf normalem Weg zu verlassen, aber sie nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um in Übung zu bleiben.
Die Straßen waren für die Nacht bereits von Fackeln erhellt, doch immer noch schlenderten überall Leute herum. In einer der Schenken war eine harmlose Schlägerei unter Freunden im Gange, Schaulustige standen herum und schlossen Wetten auf den Sieger ab.
Sie sog tief die Luft ein. Der Duft von Sianim war ein Gemisch aus Schweiß, Pferden, Staub und … Freiheit.
Aralorn war unter all den Zwängen aufgewachsen, die den Frauen des Hochadels auferlegt wurden, sogar einem Bastard wie ihr. Reth mochte vielleicht die Sklaverei abgeschafft haben, aber Frauen von hohem Stand waren von einer Mauer aus Regeln umgeben, so unumstößlich und ehern, dass sie noch jeden Sklaven beengt hätten. Wäre nicht ihr Vater gewesen, hätte man wohl auch sie in eine traditionelle Rolle gezwungen.
Doch als sie – die unrechtmäßige Tochter des Löwen von Lammfeste – zu ihm gekommen war und gegen den andauernden Stick- und Benimmunterricht protestiert hatte, mit der seine liebe Gemahlin sie stets quälte, hatte er gelacht – und ihr sodann beigebracht, zu reiten wie ein Mann. Auch mit Schwert und Stab zu kämpfen lehrte er sie. Und als Aralorn dann von zu Hause fortging, schickte er sie mit seinem besten Schlachtross hinaus in die Welt.
Sie hatte es in Jetaine versucht, aber festgestellt, dass die Frauen dort Sklavinnen ihres Männerhasses waren. Aralorn hatte Männer nie gehasst, sie wollte nur nicht bis an ihr Lebensende herumsitzen und nähen. Sie hatte sich oft gefragt, was wohl aus ihr geworden wäre, wenn sie als Tochter von jemandem, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste, zur Welt gekommen wäre anstatt als Adelige, die in erster Linie nur dekorativ sein musste.
Der Gedanke, dass sie, ausgerechnet sie, als Dekoration dienen sollte, erschien ihr völlig absurd. Schon lange bevor sie zu einer kampferprobten Reckin geworden war, war sie klein und unattraktiv gewesen – und eigensinnig.
Zwei Männer in groben Kapuzengewändern, wie sie die Bauern, die die Stadt belieferten gern trugen, waren ihr die letzten paar Häuserblöcke gefolgt. Mittlerweile waren sie verdächtig nah herangekommen und es mithin wert, dass Aralorn ihnen ein wenig Aufmerksamkeit zukommen ließ. Die Sianimer mochten Frauen in ihren Reihen ja gewohnt sein, aber Zugereiste konnten mitunter unangenehm werden. Für sie war eine Frau, die Hosen trug und ein Schwert, gleichbedeutend mit einer Frau von lockerer Moral, die bereitwillig mit jedem Mann schlief. Eine simple Zurückweisung konnte rasch in einem hässlichen Kampf enden.
Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, dass die beiden sich hinter den Leiterwagen schlichen, an dem sie gerade vorbeigekommen war. Ihre linke Hand wanderte mechanisch zu ihrem Schwert. Dann sagte einer der Strolche in einem Bühnenflüstern, das allein dazu gedacht war, dass sie es hörte: »Zum Henker mit dir, Talor, du trampliger Ochse. Sie hat uns schon wieder gesehen. Ich hab dir doch gesagt, du sollst andere Schuhe anziehn. Die Treter da machen viel zu viel Krach.«
Sie lachte und wirbelte zu den beiden herum; unauffällig wanderte ihr Dolch wieder zurück in die Scheide in ihrem Ärmel. »Obwohl ihr besser werdet, wie ich zugeben muss. Diesmal hab ich euch ehrlich für zwei Auswärtige auf Beutesuche gehalten.«
Der zweite Bursche stieß den ersten mit einem scherzhaften Fausthieb zur Seite. »Siehst du, Kai. Hab doch gesagt, es ist besser, wenn wir zur Umgebung passen. Wer achtet hier schon auf zwei Mastschweinliebhaber?«
Kai hob eine Augenbraue und sah ungeachtet des Drecks auf seiner Kleidung dabei irgendwie aristokratisch aus. »Trotzdem, hättest du die Schuhe angezogen, die ich dir empfohlen hab …« Die Worte versickerten, dann blitzte in seinem Gesicht das boshafte Grinsen auf, das sowohl ihn als auch seinen Zwillingsbruder auszeichnete.
Im nächsten Moment schlüpfte er mit erprobter Mühelosigkeit aus seiner Rolle, legte einen Arm um Aralorns Hals und sagte: »Nun, meine Liebe, sieht ganz so aus, als wärst du in meiner Gewalt.« Zumindest hatte er dies sagen wollen, doch tatsächlich klang das letzte Wort eher wie »Auweia« als wie »Gewalt«.
Sie wandte sich zu Talor um. »Schätze, ich sollte öfter mal in Jauche baden. Scheint wesentlich besser zu funktionieren, als ihn zu Boden zu schleudern und blöd aussehen zu lassen. Ich meine, so wie ich’s beim letzten
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