ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
der Erbauung.
»Na schön«, willigte sie ein. »Aber ihr müsst mir helfen, wenn ich etwas falsch erzähle oder vergesse. Könnt ihr das?«
Sie wartete, bis alle dies bejaht hatten.
»Sehr schön«, sagte sie, lehnte sich zurück und stimmte sich einen kleinen Augenblick ein. Dann begann sie zu erzählen.
»Es war einmal, vor langer Zeit, als die Götter noch auf Erden wandelten und sich für die Belange der Menschen interessierten, da lebte in einem kleinen Dorf ein Schmied. Er war ein guter Schmied, und sein Name war weit und breit bekannt. Obgleich er ein sanftmütiger Mann war, lebte er doch in Zeiten des Krieges, und so brachte er zumeist den Tag damit zu, die prächtigen Schlachtrösser der Adligen zu beschlagen, ihre Waffen zu reparieren und ihre Rüstungen herzustellen und zu flicken.«
Eine Hand hob sich.
Aralorn unterbrach sich und neigte leicht den Kopf, um ein schmutzstarrendes Mädchen mit zwei unterschiedlich langen Zöpfen zum Sprechen aufzufordern.
»Das hat er aber nicht um reich zu werden gemacht«, sagte das Mädchen. »Das war, weil im Krieg das Essen so viel kostet. Wenn er keine Schwerter gemacht hätte, wär seine Familie verhungert.«
Aralorn nickte. »Genau. Er tat das, um Geld zum Leben zu haben, denn das Essen war knapp und teuer. Aber des Nachts, wenn er allein in seiner Schmiede war, machte er andere Sachen. Manchmal waren sie zu etwas Nutze, so wie Harken und Hacken und Schnallen. Manchmal aber schuf er auch Dinge, deren einziger Zweck es war, schön zu sein.«
»Der Gott des Krieges«, rief ein Junge, einer der kleineren, und sprang auf die Füße. »Der Gott des Krieges ist gekommen. Er ist gekommen und hat versucht, ihm die schönen Sachen wegzunehmen.«
»Handzeichen, bitte«, sagte Aralorn.
Die Hand des Jungen schoss nach oben.
»Ja?«
»Der Gott des Krieges ist gekommen«, sagte er in artigerem Ton.
»Richtig, so war’s«, stimmte sie zu. »Wie es das Unglück wollte, zerbrach Temris, der Gott des Krieges, sein Lieblingsschwert in einer Schlacht. Er hörte von der Geschicklichkeit des Schmiedes, kam eines Nachts in das Dorf und klopfte an das Tor der Schmiede.
Der Schmied hatte an einem Stück von einzigartiger Schönheit gearbeitet – einem kunstvollen kleinen Baum aus gehämmertem Eisen und Silberdraht und mit verschlungenen Ästen, an einem jeden eine einzelne, goldene Frucht.« Für sie hatte das zwar immer nach dem Metier eines Gold- oder Silberschmieds geklungen, aber dann wiederum war es eine alte Geschichte. Vielleicht hatten die Schmiede aus alten Zeiten ja tatsächlich all diese Dinge gemacht: Pferde beschlagen, Rüstungen gefertigt und Schmuck hergestellt. »Temris sah es und begehrte es und, wie es nun mal die Gewohnheit der Götter ist, wenn sie etwas von einem Sterblichen wollen, forderte es von dem Schmied ein.«
»Weil er habgierig war«, sagte jemand.
Sie sah sich um, sah jedoch keine erhobene Hand und ignorierte den Einwurf daher. Sie waren alle alt genug, um zu wissen, wie man sich beim Geschichtenerzählen benahm. »Der Schmied weigerte sich. Er sagte: ›Du, der du der Erschaffer des Krieges bist, kannst etwas, das in der Hoffnung auf Frieden wurzelt, nicht besitzen.‹«
Stanis hob seine Hand. »Wieso wurzelt denn ein Baum mit Früchten in der Hoffnung auf Frieden?«
»Mein Vater hat gesagt, das wäre, weil es während eines Krieges keine Bäume mit Früchten gäbe«, erwiderte Tobin.
Aralorn schaute in die ernsten, kleinen Gesichter und wünschte, Tobin hätte eine fröhlichere Geschichte ausgesucht. »Der Schmied schleuderte das Kunstwerk auf den Boden und zerschmetterte es in tausend und abertausend Stücke, so groß war sein Zorn. Temris war fürchterlich erbost, dass ein einfacher Schmied es gewagt hatte, ihm etwas zu verwehren.« Aralorn senkte ihre Stimme so tief hinab, wie sie konnte, und sprach langsam, so wie es sich für einen Gott des Krieges gehörte: »So sage ich dir, Schmied, nur drei Stücke wirst du von diesem Tag an noch schmieden, und sie alle werden Waffen der Verheerung sein, wie sie die Welt noch nicht sah. Auf immerdar soll dein Name verbunden mit ihnen sein, und auf immerdar wird man dich kennen als ›Der Schmied‹.
Da graute es den Schmied sehr, und viele Tage lang saß er allein in seiner Schmiede und wagte aus lauter Angst vor Temris Worten nicht, seinem Tagwerk nachzugehen. Während dieser Zeit betete er zu Mehan, dem Gott der Liebe, flehte darum, nicht zum Schöpfer der schrecklichen Werkzeuge werden zu
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