ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
ahnst« – im Laufe der letzten Jahre hatte er wie in einem Buch in ihr zu lesen gelernt –, »es schon lange vor mir gewusst hat und mich deshalb von seinen anderen Lehrlingen trennte. Von da an konnte ich mich mit niemandem mehr vergleichen. Als ich fünfzehn war, kam der ae’Magi auf die glorreiche Idee, zu versuchen, mich zum Sammeln von mehr magischer Kraft zu benutzen. Ich sollte für ihn so viel Magie zusammenraffen wie mir nur möglich war, sodass er sie einsetzen konnte.«
Wolf verstummte. Aralorn wartete einen Moment, dann fragte sie: »Es passierte etwas?«
Wolf gab ein Geräusch von sich, das ein Lachen gewesen sein mochte. »Ja, es passierte etwas. Entweder hat die Methode, die er anzuwenden versuchte, versagt, oder aber er war einfach nicht auf die Menge an Macht, die ich abzapfte, gefasst. Jedenfalls hatte ich, noch bevor er irgendetwas dagegen unternehmen konnte, den größten Teil des Turms, in dem wir uns aufhielten, zerstört. Die Steine waren regelrecht geschmolzen. Ich hab keine Ahnung, wie er es geschafft hat, dass wir am Leben blieben. Der Vorfall indes geschah drei Monate bevor ich überhaupt imstande war, genug Magie zu konzentrieren, um auch nur eine Kerze zu entzünden.« Wieder machte er eine Pause, sammelte seine Gedanken oder hing der Erinnerung nach.
Geduldig wartete Aralorn, dass er fortfuhr, oder auch nicht, wie es ihm ähnlich gesehen hätte. In den letzten fünf Minuten hatte er ihr mehr von sich erzählt als in den gesamten vier Jahren, die sie ihn nun kannte, zusammen. Wenn er der Meinung war, dass es für heute reichte, würde sie ihn nicht bedrängen.
Nach einer Weile jedoch sprach er weiter: »Zu der Zeit hat er sich den älteren Texten zugewandt und begann damit zu experimentieren, Macht von anderen abzusaugen. Nicht über mich, nachdem dieser erste Versuch sich als ein solcher Reinfall erwiesen hatte. Und bei einem dieser Experimente fand er heraus, dass er sich mit Hilfe gewisser Rituale –, schon vor den Magierkriegen verbotener Rituale, und das sagt ja schon einiges – nun, dass er sich mit Hilfe dieser Rituale die Kräfte ungeübter Magieanwender zunutze machen konnte, insbesondere die von Kindern. Sie konnten sich am wenigsten wehren.« Er verstummte erneut, die goldenen Augen freudlos und leer.
Ich sollte hier aufhören , dachte er. Sie wusste nun ebenso viel über den ae’Magi wie er. Falls ihm etwas zustieß, gelang es ihr vielleicht, einen anderen Magier zu finden. Bestimmt waren, wenn schon so ein unzulänglich ausgebildeter Stümper wie er das gekonnt hatte, einige der mächtigeren Magier imstande, sich freizumachen von ihm. Doch zu übermächtig war sein Verlangen, sein Bedürfnis , ihr einen flüchtigen Blick auf das Ungeheuer, das er war, zu gewähren und ihren Glauben daran zu zerstören, dass Wolf, ihr Wolf, eine Art Ritter für Recht und Gerechtigkeit war.
»Lange hab ich ihm geholfen«, fuhr er fort. Zu seiner Überraschung war seine Stimme immer noch sie selbst, die kühle Grabesstimme, die mit keiner Nuance den Vulkan von Gefühlen erahnen ließ, der in ihm brodelte. Es war, als würde er die Geschichte von jemand anderem erzählen. »Du musst das wissen.« Ich will, dass du es weißt . »Obwohl ich erkannt hatte, was er war. Ich wendete dunkle Magie an, in dem Wissen, dass sie schlecht war. Ich tat, was er von mir verlangte, schwelgte in der daraus erwachsenden Macht und dem Wahnsinn. Im vollen Bewusstsein dessen, was er war, versuchte ich ihm zu gefallen.«
Seine Hände umfassten so fest die Tischkante, dass die Knöchel weiß hervortraten; er sah es, konnte jedoch seine Finger nicht lösen. Vielleicht merkte sie es nicht. Vielleicht war es ihm egal, wenn sie es tat.
»Was geschah dann?«, fragte sie. Als würde sie Informationen für einen Spionageauftrag sammeln, für etwas, das nichts mit ihr zu tun hatte.
Als er nichts sagte, tat sie es: »Was ist geschehen? Was hat sich geändert?«
Hatte sie denn nicht verstanden, was er ihr gerade offenbart hatte? Wo war ihre Angst? Ihr Abscheu? Dann fiel es ihm wieder ein – sie war eine Grünmagierin, wenn auch keine richtige. Sie konnte gar nicht wirklich ermessen, wie schlimm es war, wie tief der Abgrund seines schändlichen Tuns. Die Schreie der Unschuldigen und nicht ganz so Unschuldigen – er konnte sie noch immer hören. Manchmal. Immer wenn er es zuließ, dass er ihr Klagen vernahm.
Jäh löste er seinen Griff um den Tisch. Er wollte ihr nicht wehtun, gemahnte er sich, und wenn er sich
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