Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
gesamte Struktur der Wirtschaft umgekrempelt wurde.
Bedauerlicherweise ist es nur praktisch unmöglich, vorab genau einzuschätzen, ob und wann solche Umbrüche eintreten werden. Sollten sich zum Beispiel die neu entdeckten niedrigenergetischen Nuklearreaktionen, bei denen sich aus Wasserstoff und Nickel durch Kernfusion große Mengen Wärme ohne das Risiko von Verstrahlung und atomaren Abfällen gewinnen lassen, als realistische und praktisch einsetzbare Energiequelle herausstellen, würde das wohl die gesamte Struktur der heutigen Wirtschaft innerhalb weniger Jahre umstülpen. Plötzlich wäre die Frage nicht mehr, wie man mit möglichst wenig Energie auskommt, sondern was man mit der neuen, quasi unerschöpflichen Energiequelle alles anstellen kann. Ob man dann Wüsten mit entsalzenem Meerwasser fruchtbar machen wird, Erze vom Meeresboden oder aus dem Asteroidengürtel gewinnen oder von den alten Industrien verseuchte Flächen wieder nutzbar machen könnte? Die Ideen würden jedenfalls anders gewogen als unter der heutigen Prämisse der Energieeffizienz.
Sich darauf zu verlassen, daß eine solche neue, bahnbrechende Technologierevolution rechtzeitig die Verluste an Arbeitsplätzen auffängt und kompensiert, die durch die nächsten Automatisierungswellen entstehen werden, wäre jedoch fahrlässig. Manche Arbeitsplätze macht die Technik ohne Ersatz obsolet, die Generation nach uns wird wohl nicht mehr wissen, was ein Filmvorführer mal war. Der Beruf des Netzwerktechnikers, der die Digitaltechnik im Kino bedient, ist dagegen auf dem aufsteigenden Ast.
Wir sollten uns als Gesellschaft vielmehr gedanklich und planerisch darauf einstellen, daß immer wieder Wellen plötzlicher Arbeitslosigkeit entstehen werden, weil in den seltensten Fällen arbeitsplatzvernichtende und neue Arbeit schaffende Technologiewellen in der richtigen Reihenfolge und zur richtigen Zeit eintreffen.
Der Ursprung der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere der Arbeitslosenversicherung, liegt genau in dieser Diskrepanz, sie sollen auch technologische Umbrüche auffangen und mildern. Das Problem ist jedoch, daß diese Mechanismen in den letzten zwanzig Jahren erheblich erodiert wurden, ihre Mittel zur Subventionierung von Niedriglöhnen mißbraucht und die finanzielle Basis nicht an die Gegebenheiten der neuen Zeit angepaßt wurde. Es ist wenig sinnvoll, am Prinzip der Umlage festzuhalten, die von denjenigen bezahlt wird, die noch in Lohn und Brot stehen, für die, die schon von der Automatisierung erwischt wurden, wenn ein zunehmend größerer Teil der Wertschöpfung von Maschinen erledigt wird.
Hinzu kommt, daß immer mehr Menschen insbesondere in Deutschland den Sinn ihres Lebens nicht mehr in permanenter Beschäftigung zum Zwecke des Broterwerbs definieren. Gar nicht so wenige sagen sich: Wenn Maschinen sowieso einen Großteil der Arbeit erledigen und das Geld aus dem hochqualifizierten Teilzeitjob zum bequemen Leben ohne Anspruch auf Reichtum reicht, warum soll man dann nicht mehr Zeit mit Kindern, Familie, Hobbys oder ehrenamtlichen Tätigkeiten verbringen?
Hinter dieser Einstellung steht auch die Frage nach den Grenzen des Wachstums. Den Fetisch des Marktes, das permanente und auch in Zukunft unaufhörliche Wachstum von Umsatz, Gewinn und Bruttosozialprodukt, in Frage zu stellen ist nach dem offensichtlichen Scheitern dieser Ideologie, die durch Börsencrash und Wirtschaftskrise drastisch sichtbar wurde, nicht länger sakrosankt. Und die Fragen nach der Notwendigkeit des Wachstums sind im Kern auch Fragen nach der Gerechtigkeit der derzeitigen Wirtschaftsordnung.
Je weiter Automatisierung und algorithmische Effizienzoptimierung fortschreiten, desto mehr wird Kapital zum noch stärker dominierenden Produktionsmittel, die Kontrolle darüber zum ultimativen Machtinstrument. Wenn die Struktur der Wirtschaft es nicht länger erlaubt, allein mit der Kraft seines Geistes und seiner Hände zu Wohlstand und finanzieller Sicherheit zu gelangen, weil einem der Zugang zu den nötigen Maschinen, Daten und Verarbeitungskapazitäten nur offensteht, wenn man sich bei jemandem verdingt, der schon genügend Kapital akkumuliert hat, ist das Grundversprechen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft gebrochen. Die bloße Legende vom cleveren Programmierer, der mit einer in seiner Freizeit geschaffenen Smartphone-App zu Reichtum gelangt, ist zur modernen Variante der uramerikanischen Verheißung »vom Tellerwäscher zum Millionär« geworden. Die
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