Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
Lagersilos sich die richtige Mehlmischung befindet. Das Rohrleitungssystem wird automatisch so konfiguriert, daß eine Verbindung vom Lagersilo zum Lkw geschaltet ist. Dann wird das Mehl in den Lkw gefüllt, bis die Waage signalisiert, daß er voll beziehungsweise die gewünschte Liefermenge erreicht ist. So schließt sich der Kreis.
In früheren Zeiten waren die Methoden der Buchführung noch etwas handfester als die heutigen Datensätze auf Chipkarten. Als Mittel der Aufzeichnung von Lieferungen und auch Schulden und Verbindlichkeiten dienten zwei Brettchen, die aus demselben Holzstück gespalten wurden. In die Seiten der aneinandergehaltenen Brettchen wurden Vertiefungen geschnitten, die etwa für je einen Sack Mehl oder Korn standen, so daß jede Kerbe in beiden Brettchen an der gleichen Stelle stand. Müller und Bauer behielten je eines der Brettchen, die durch die gleiche Holzmaserung klar als zueinandergehörig erkennbar waren. Jede der Parteien konnte so prüfen, ob die andere Seite versucht hatte, die Aufzeichnung zu manipulieren. »Etwas auf dem Kerbholz haben« – dieser auch heute noch verwendete Ausspruch hat hier seinen Ursprung.
Ein Brötchen genau wie alle anderen
Große Mühlen haben heute üblicherweise neben den Silos für das Korn auch Lagerkapazitäten für mehr als zehntausend Tonnen Mehl. Der Grund dafür ist, daß Großkunden ihr Mehl im Rahmen von langfristigen Verträgen zeitlich gestreckt genau dann abrufen, wenn es an der Backstraße gebraucht wird. Deswegen lagern die Mühlen auch größere Mengen bestimmter Getreideklassen zwischen, die für die spezifische Mehlmischung des Kunden benötigt werden.
Vor der Auslieferung von Mehl an Großkunden wird jeweils eine kleine Portion abgezweigt und wandert ins Labor und die Testbäckerei. Im Labor werden die Eigenschaften des fertigen Mehls analysiert. Für die Großbäckereien muß sichergestellt werden, daß die Backeigenschaften exakt den vereinbarten Anforderungen der Backstraße des Kunden entsprechen. Rund ein Dutzend Spezialisten der Mühle sind damit betraut, vor Ort die korrekte Zusammensetzung und den richtigen Mahlgrad des Mehls für die Kundenbackstraße zu ermitteln, so daß für die jeweiligen Backprodukte ein stets gleichmäßiges Ergebnis im Rahmen des Preises erzielt wird, den der Großbäcker zu zahlen bereit ist.
Mehl ist längst nicht mehr nur ein einfaches Lebensmittelprodukt für Grundnahrungsmittel, sondern gleichzeitig eine für die industrielle Verarbeitung intensiv analysierte und Schritt für Schritt optimierte Ware, deren Eigenschaften beim Backen in allen Details erforscht werden. Diese Forschung ist nicht nur Sache der Bäcker, sondern auch der modernen Müller.
Jedes Jahr, wenn die neue Getreideernte in der Mühle eintrifft, müssen für alle Großkunden die Mehle analysiert und angepaßt werden. Je nach Witterung schwanken die Eigenschaften der verfügbaren Getreidequalitäten, was wiederum zu unterschiedlichen Backeigenschaften führt. Die große Kunst für die Müller und Backstraßenspezialisten ist es nun, aus den verschiedenen Eigenschaften der Getreide, die gerade am Markt zu haben sind, eine Mehlmischung zu kombinieren, die sich möglichst ähnlich der aus dem Vorjahr verhält. Was – beispielsweise aus Preisgründen – nicht per Mehlzusammensetzung gelöst werden kann, muß im Zweifel durch Änderung der Parameter des Backprozesses angepaßt werden. Mehr oder weniger Wasser, länger oder kürzer kneten, heißer oder weniger heiß backen, andere Temperaturprofile wählen: Es gibt einiges an Möglichkeiten, um dafür zu sorgen, daß die Brötchen möglichst immer identisch und für den Kunden ununterscheidbar aus der Fabrik purzeln.
Und darum geht es letzten Endes. Die großen Supermarkketten haben uns als Kunden daran gewöhnt, daß alles immer so perfekt ist, wie wir es gewohnt sind. So wie wir erwarten, daß unser Gemüse normschön ist, wollen wir unser Brot optisch und geschmacklich genauso, wie es immer war. Farbe, Kruste, Konsistenz, Kaugefühl, Würzung und Feuchtigkeit sollen keine Überraschungen bereithalten. Wenn wir etwas anderes wollen, kaufen wir eine andere Sorte oder Marke. Der Aufwand, der für diese qualitative Normung getrieben wird, ist entsprechend groß.
Fazit
Wie wenige Menschen nötig sind, um die enorme Menge von eintausend Tonnen Getreide pro Tag zu verarbeiten, ist beeindruckend. Der eigentliche Mahlvorgang, das Sieben und das Verpacken sind praktisch vollautomatisch
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