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Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)

Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)

Titel: Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz , Frank Rieger
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und können von einer kleinen Handvoll Müller konfiguriert und überwacht werden. Die überwiegende Anzahl der Beschäftigten in Mühlen ist in der Eingangs- und Ausgangsqualitätskontrolle, in der Testbäckerei, im Getreideeinkauf und im technischen Vertrieb tätig, der die Mehle an die Backstraßen der Kunden anpaßt.
    Die Automatisierung hat in der Mühle eine Vielzahl von Berufen abgelöst, die anstrengend, gleichförmig und langweilig oder gesundheitsgefährdend waren. Typisch ist die Geschichte der Abfüller und Säckepacker. Bevor es Maschinen gab, die die Säcke automatisch mit dem richtigen Mehl befüllen und zunähen, wurde dies per Hand erledigt: den leeren Sack auf die Waage stellen, die Dosierklappe am Rohr zum Mehlsilo aufmachen und warten, bis ungefähr die richtige Menge Mehl im Sack ist, dann mit der Schaufel zugeben oder abnehmen, bis das Gewicht genau stimmt. Das Abfüllen war zwangsläufig ein Arbeitsschritt, bei dem viel Mehlstaub in die Luft gewirbelt wurde – mit dem entsprechenden Risiko, an den typischen Berufskrankheiten der Müller und Bäcker zu erkranken: Mehlstauballergie und Asthma.
    Der befüllte schwere Sack mußte zudem mit der Hand zugenäht und zur Verpackungshalle geschafft werden. Dort wurden die Säcke dann wiederum durch Muskelkraft auf die Paletten gestapelt. Bei jedem Arbeitsschritt mußte ein Arbeiter den fünfundzwanzig Kilo schweren Sack anheben und herumwuchten. Rücken und Gelenke leiden auf Dauer selbst bei den kräftigsten Packern unter solcher Belastung.
    So war der Zeitpunkt zur Investition in Palettierroboter in einer der von uns besichtigten Mühlen dann gekommen, als ein altgedienter Säckestapler mehr und mehr Gesundheitsprobleme bekam. Die Abfüllung war schon teilweise automatisiert, aber die Säcke wurden noch per Hand auf die Paletten gestapelt. Der Roboter erledigt die Aufgabe zwar nicht viel schneller, aber dafür wenn nötig vierundzwanzig Stunden am Tag – ohne Pause, ohne Rückenschmerz. Trotz zunehmender Probleme wollte der betroffene Packer seinen Job allerdings gar nicht aufgeben. Der muskelbepackte Mann wollte nicht eingestehen, daß er das dauernde Säckewuchten in seinem Alter einfach nicht mehr schaffen konnte. Als starker Mann durch die Maschine ersetzt zu werden, das galt ihm als eine schmähliche Niederlage.
    Mühlen sind in Deutschland auch heute noch oft in der Hand von Unternehmerfamilien, die teilweise seit Jahrhunderten in dem Gewerbe tätig sind. Waren die Großväter und Urgroßväter noch gelernte Müller, ergriff die nachfolgende Generation häufig Berufe wie Ingenieur und später Kaufmann – ein klares Abbild der sich verändernden Arbeitswelt.
    Die soziale Verantwortung für die Mitarbeiter wird, soweit es betriebswirtschaftlich möglich ist, in den Familienbetrieben durchaus ernst genommen. Der erwähnte altgediente Säckepacker sollte also nicht einfach vor die Tür gesetzt werden, sondern eine neue Aufgabe erhalten. Als Gabelstaplerfahrer sollte er nun dem Roboter, der seine frühere Arbeit erledigt, die Paletten zum Beladen heranfahren und andere Transporte im Lager erledigen – er erhielt eine entsprechende Weiterbildung. Bis zum Renteneintritt fuhr der ehemalige Säckepacker noch fast zehn Jahre Paletten für seinen mechanischen Nachfolger.
    Automatisierung muß also nicht zwangsläufig zu einem Verlust an Arbeitsplätzen in einem bestimmten Betrieb führen, wenn die Bedingungen und die Branche es erlauben. Das Prinzip, die Maschinen zu nutzen, um den Produktionsausstoß und die Qualität zu steigern und menschliche Arbeit in Bereiche zu verlagern, die (noch) nicht von Maschinen erledigt werden können, ist so etwas wie die Idealvorstellung der Automatisierung. Ein Blick in die lange Geschichte der Mühlen zeigt jedoch, wie sukzessive, immer schneller laufende Wellen von Technologieinnovationen dazu führten, daß – ähnlich wie in der Landwirtschaft – immer weniger Arbeitskräfte erforderlich sind.
    Die historische Entwicklung der Arbeitsplatzzahlen illustriert den dramatischen Einfluß der Technik. Schon 1897 erreichten einige Mühlen die heutige Standardkapazität von eintausend Tonnen Getreide am Tag. Damals ackerten jedoch über achthundert Menschen dort. Noch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren in Mühlen dieser Dimension über vierhundert Arbeiter in Lohn und Brot. Elektromotoren hatten die Dampfmaschinen abgelöst, Aufzüge und Rohrsysteme den Transport von Mehl und Korn vereinfacht. Schon

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