Arche Noah | Roman aus Ägypten
ich unbedingt im Old Cataract Hotel in Assuan verbringen, Murtada. Davon träume ich schon seit der Oberschule.« Und jetzt war er hier mit einer anderen Frau, das war Hochverrat! Er fühlte sich wie Judas, als er Jesus verriet. Es zerriss ihm das Herz.
Kaum sassen sie in der Feluke, erkannte Hassûna, dass sie auf eigene Faust nach Assuan gekommen waren – ohne Reiseagentur und ohne Fremdenführer. Vor Freude lief ihm das Herz über. Er konnte nicht stillsitzen, sprang auf und zog die Gallabija aus. In Hose und Weste tanzte er geradezu beim Gedanken an den Truthahn, der köstlich duftend nur darauf wartete, von ihm verspeist zu werden. Richard nutzte die Gelegenheit: Hassûna ohne Gallabija – ein Bild, das festgehalten werden musste! Er holte die Kamera heraus und fotografierte ihn. Auf dem Display besah er sich Hassûna genau: ein längliches Gesicht, markante Züge, wie aus Ton geformt und im uralten Ofen gebrannt, grosse schwarze Augen, das Weiss mit einem Orangestich, so alshätte er gerade eine Flasche alten Wein geleert. Er war gross, aber kein Riese, kräftig gebaut, aber kein Ringer. Am Arm hatte er eine lange, breite Narbe. Richard holte sie mit dem Zoom näher heran. »Wie ist das passiert?«, fragte er.
»Ein schielendes Krokodil. Es hat mich wohl für einen Hund gehalten. Blitzschnell ist es aus dem Nil aufgetaucht, hat meinen Arm gepackt und ihn zerfetzt. Aber ich konnte mich befreien.«
»Und warum soll es Sie für einen Hund gehalten haben?«
»Zwischen Hunden und Krokodilen besteht eine alte Feindschaft, ähnlich der zwischen Katzen und Mäusen. Deswegen trauen sich Hunde hier nie ans Ufer. Sie haben Angst, von Krokodilen angegriffen zu werden.«
»Von einer Feindschaft zwischen Krokodilen und Hunden habe ich noch nie etwas gehört.«
»Es gibt eine Geschichte, die erklärt, wie es zu dieser jahrtausendealten Zwietracht gekommen ist: Es war einmal vor langer Zeit ein Hund, der ein Krokodil fragte, ob es ihm die Zunge leihen würde. Er war nämlich zu einem grossen Fest eingeladen, zu dem alle Nilbewohner kommen sollten. Er wollte die Gäste mit schönen Reden beeindrucken und ausserdem so viel wie möglich fressen. Das Krokodil war einverstanden und lieh ihm die Zunge. Der Hund aber hat sich nie mehr blicken lassen. Seither wartet das Krokodil auf seine verlorene Zunge mit einer Stinkwut im Bauch. Vielleicht dachte das Krokodil ja, ich hätte seine Zunge, und hat mich deshalb angegriffen.«
»Nördlich des Staudamms gibt es keine Krokodile und in Assuan schon gar nicht«, beruhigte Murtada seine Frau.
Hassûna lachte herzlich. »Im Nil wimmelt es nur so von Krokodilen, und ganz besonders in Assuan. Sie kommen problemlos mit dem Wasser durch die Durchlässe im Damm. In Assuan sind überall Schilder aufgestellt, die vor Krokodilen warnen. Und in Kairo ist die Wasserbehörde derzeit damit beschäftigt, das Reptil aufzuspüren, das vor zwei Monaten in al-Maâdi vor dem Hotel Sofitel gesichtet wurde, es soll angeblich sechs Meter lang sein. Der Umweltminister, Ingenieur Magid George, aber hat erklärt, dass es nur zwei Meter lang sei. Dabei fehlt von dem Tier jede Spur. Aber eines muss man dem Minister lassen: Er hat so überzeugend gesprochen, dass man meinen könnte, er hätte das Krokodil nicht nur leibhaftig gesehen, sondern mit ihm am Vortag noch im Nil geplanscht.« Zur allgemeinen Beruhigung fügte Hassûna an: »Aber keine Sorge, die Krokodile leben auf dem Grund des Flusses. Sie greifen keine Menschen an.«
»Es sei denn, sie sind kurzsichtig«, kommentierte Richard grinsend.
Hassûna lachte und zog die Gallabija wieder über. »Heute zeige ich Ihnen das wunderschöne Nubien«, versprach er mit ruhiger, tiefer Stimme.
Begeistert sprang Richard auf und fotografierte ihn erneut.
B estimmt ist Hassûna von königlichem Geblüt. Woher sollte er sonst dieses erhabene Auftreten haben? In Blick, Gestik, Gelassenheit und Tonfall, mit seinen Armen, der Nase und den Augenbrauen ist er wie ein echter Prinz, der von einem Dschinn aufgezogen wurde. Neben ihm wirkt selbst Königin Elisabeth wie eineServiererin. Unglaublich, dieser Stolz! Als Murtada ihn bezahlen wollte, hat er nichts gefordert, nicht moniert, sich nicht einmal dazu herabgelassen, das Geld anzuschauen – wie ein Herr, der von seinem Diener das entgegennimmt, was ihm zusteht. Ausserdem ist alles so sauber, sein Boot funkelt im Sonnenlicht wie ein Juwel. Majestätische Reinheit eben, wogegen es in Murtadas Dorf nur Schmutz
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