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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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bei der Suche nach einem Grundstück behilflich sein. Talaat solle ihn ruhig anrufen.
    Das war am 4. Juli 2007, als die arabischen Regierungen den amerikanischen Unabhängigkeitstag feierten.

Hassûna Sabri
    H assûna ging an sein Handy und versuchte herauszuhören, wer der Anrufer war. Touristisches Projekt? Grundstück? Gesicherte Finanzen? Was hatte das alles mit ihm zu tun? Er verstand gar nichts, ausser dass dieser seltsame Talaat am anderen Ende der Leitung die Nummer von seinem Bruder in Kuwait hatte. Da er in diesem Augenblick aber mit den Gedanken ohnehin woanders war, wollte er später Nabri anrufen, um Genaueres in Erfahrung zu bringen.
    Umgeben von Familienangehörigen und unzähligen Nubiern, stand Hassûna in Assuan auf dem Flughafen und wartete auf die Maschine aus Mailand, die den Leichnam seines Onkels Uthmân Muhammad an Bord hatte. Nachdem dieser über zwanzig Jahre lang als Koch in einem Klub der traditionsreichen, seit 1899 bestehenden Fabbrica Italiana Automobili Torino – kurz Fiat – gearbeitet hatte, wurde er nun von seinem Sohn heimgeführt.
    Der Empfang am Flughafen hätte einer hochrangigen Persönlichkeit gelten können. In der Tat hatte der Verstorbene bei seinen Leuten eine besondere Stellung. Dank seiner engen Beziehung zu Gianni Agnelli, dem Enkel des Firmengründers Giovanni Agnelli und ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden des Konzerns, hatte er vielen Nubiern zu einer Anstellung verholfen – entweder im Unternehmen selbst oder im firmeneigenen Tennisklub, in dem er arbeitete. Herr Agnelli hatte grosse Stücke auf Uthmân gehalten. Wann immer er den Klub besuchte, hatte er den Küchenchef zu sehen gewünscht, um ihm persönlich für die erlesenen Speisen zu danken, ganz besonders aber für das exquisiteKaninchen an Muskraut. Weil Herr Agnelli es so sehr liebte, hatte Uthmân dieses Gemüse immer extra für ihn aus Ägypten kommen lassen. Ihre Gespräche unter vier Augen hatte er zu nutzen gewusst. Er hatte einfliessen lassen, wie schwer es seine Volksgruppe in der Heimat habe, und vorsichtig gefragt, ob es in der Firma nicht Arbeit für einen Nubier gebe. Jahr um Jahr und Arbeitsvertrag um Arbeitsvertrag war Uthmâns Ansehen bei den Nubiern gestiegen, bis er schliesslich als Nationalheld betrachtet wurde.
    Die Temperatur in Assuan am 4. Juli hatte etwas von der Hölle, die Dante wohl vorschwebte, als er, am Ofen sitzend, die Göttliche Komödie schrieb. Wegen der geringen Luftfeuchtigkeit aber war die Hitze durchaus erträglich im Vergleich zu dem, was Talaat in Kuwait auszuhalten hatte. Dort war es nämlich nicht bloss Dantes, sondern die echte Hölle. Die Nubier am Flughafen waren einheitlich gekleidet, sie trugen eine hauchdünne weisse Gallabija mit aufgestickten Quadraten, darunter eine kurze weisse Hose und zum Schutz vor der gleissenden Sonne eine bestickte weisse Kappe auf dem Kopf. Der Flughafendirektor, der immerzu nervös durch den Wartesaal hastete, hatte alle Vorbereitungen getroffen, um dem Heimkommenden einen würdigen Empfang zu bereiten und ihm wenigstens in dieser bescheidenen Form all die guten Taten zu vergelten. Schliesslich hatte sein Sohn dank Uthmân eine Stelle in Turin bekommen.
    Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, landete das Flugzeug endlich, und heraus kam der Leichnam. Die Massen drängten vor, alle wollten dem Toten die letzte Ehre erweisen und den Sarg tragen. Ein grüner Peugeot 504Break, Baujahr 1979, der draussen bereitstand, fuhr den Verstorbenen durch die Abbâs-Farîd-Strasse zum Totengebet in die Tâbiamoschee.
    Es war ein denkwürdiger Tag. Alle Frauen der Familie weinten sich die Augen aus. Die Männer versammelten sich am Abend auf der nubischen Nilinsel bei Assuan vor Uthmâns Elternhaus, um die Kondolenzen entgegenzunehmen, bei Koranrezitationen des Verstorbenen zu gedenken und an seine Tugenden zu erinnern. Wie er 1985 nach Italien gegangen war, blieb allerdings unerwähnt.
    Als Hassûnas Kopf voll war von all den Geschichten, verliess er die Trauerfeier und ging durch einen dichten Palmenhain zum Nil. Er zog sich aus und legte die Kleider sorgfältig auf einen blutroten Granitfels, der schwer auf dem Sandhügel lag, so schwer wie der Klumpen, der seit geraumer Zeit auch auf seiner Brust lastete. Hassûna sprang ins Wasser, das trotz der Hitze eiskalt war. Mit kräftigen Zügen bewegte er sich schnell wie ein Krokodil stromaufwärts. Mit geradezu stählernen Händen durchpflügte er das Wasser, wie um die bösen

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