Archer Jeffrey
hielten sich jedoch an die Tradition und unterbrachen nicht die Antrittsrede.
Als Thema hatte Andrew die Frage gewählt, ob Schottland trotz seiner kürzlich entdeckten Ölvorräte Teil des Vereinigten Königreiches bleiben sollte. Seine Überzeugung, daß sein Land als kleiner unabhängiger Staat keine Zukunft habe, war gut untermauert. Seine Rhetorik und seine Zungenfertigkeit brachten beide Seiten des Hauses wiederholt zum Lachen. Als er geendet hatte, ohne auch nur einmal auf seine Notizen zu sehen, ertönte von seinen eigenen Bänken begeisterter Beifall, und von der Opposition kam freundlicher Applaus. In diesem Augenblick des Triumphes sah er zur Besuchergalerie hinauf. Sein Vater lehnte sich vor, um kein Wort zu versäumen. Und zu seinem Erstaunen saß vor seiner Mutter, auf einem für Ehrengäste reservierten Platz, Alison McKenzie, die Arme auf der Brüstung.
Andrews Erfolg wurde noch unterstrichen, als etwas später ein weiteres Labour-Mitglied zum erstenmal eine Rede hielt. Tom Carson, der neue Abgeordnete für Liverpool Dockside, kümmerte sich weder um Konventionen noch um Tradition; seine Antrittsrede war darauf angelegt, Widerspruch hervorzurufen. Er begann mit einer Attacke auf das, was er »die Establishment-Verschwörung« nannte, und sein anklagender Finger wies sowohl auf die Minister seiner eigenen Partei als auch auf die Opposition. Sie alle wurden von ihm als »Handlanger des kapitalistischen Systems« bezeichnet.
Die anwesenden Mitglieder verzichteten darauf, den schimpfenden Liverpooler zu unterbrechen, der Speaker aber wurde unruhig, als der anklagende Zeigefinger auch ihn einzubeziehen schien. Mit Unbehagen nahm er zur Kenntnis, daß dieses neue Mitglied aus Liverpool ihnen allerhand zu schaffen machen würde, wenn es die Absicht hatte, sich weiterhin so aufzuführen.
Nach drei weiteren Reden verließ Andrew den Saal, um nach Alison Ausschau zu halten, aber sie war bereits gegangen. Er fuhr mit dem Lift hinauf zur Besuchergalerie und lud seine Eltern zum Tee in die Harcourt Rooms ein.
»Das letzte Mal trank ich hier mit Ainsley Munro Tee …« begann Sir Fergus.
»Dann wird es lang dauern, bis du wieder eingeladen wirst«, unterbracht Andrew.
»Das hängt davon ab, wen wir bei der nächsten Wahl als deinen Gegenkandidaten aufstellen«, gab sein Vater zurück.
Mitglieder beider Parteien kamen zu Andrew, um ihm zu seiner Rede zu gratulieren. Er dankte jedem einzelnen, sah sich jedoch fortwährend um. Aber Alison McKenzie war nicht zu sehen.
Als seine Eltern aufbrachen, um das letzte Flugzeug nach Edinburgh zu erreichen, kehrte Andrew in den Saal zurück und hörte Alisons Vater zu, der die Debatte für die Regierung zusammenfaßte. Der Minister bezeichnete Andrews Beitrag als eine der besten Jungfernreden, die das Haus seit Jahren gehört hatte.
Sobald die Debatte vorüber war und der Ordner die übliche Zehn-Uhr-Abstimmung ankündigte, verließ Andrew den Saal. Er ging in den Tearoom, den traditionellen Treffpunkt der Labour-Partei, der jetzt ebenso voll war wie am frühen Nachmittag. Man drängte sich um die Überreste unappetitlich aussehender Salatblätter – jedes ordentliche Kaninchen hätte sie verschmäht – und ein paar mit Plastik bedeckter schwitzender Käsestücke, die auf der Karte optimistisch als Salat bezeichnet wurden. Andrew begnügte sich mit einer Tasse Neskaffee.
In der hintersten Ecke saß Raymond Gould allein in einem Lehnsessel, offenbar in eine alte Ausgabe des New Statesman vertieft. Ausdruckslos beobachtete er, wie verschiedene Kollegen zu Andrew traten, um ihn zu beglückwünschen. Seine eigene Antrittsrede vor einer Woche hatte keine so begeisterte Aufnahme gefunden, und er wußte es. Er hatte ebenso feste Ansichten über die Pensionen der Kriegerwitwen wie Andrew über Schottland; da er jedoch von einem Manuskript ablas, hingen die Zuhörer nicht an seinen Lippen. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß Andrew das Thema seiner nächsten Rede sehr sorgfältig würde wählen müssen, denn die Opposition würde ihn nicht immer mit Glacehandschuhen anfassen.
Solche Gedanken kümmerten Andrew nicht, als er in eine Telefonzelle ging und eine Londoner Nummer wählte. Alison war zu Hause; sie wusch sich gerade das Haar.
»Wird es trocken sein, wenn ich komme?«
»Es ist sehr lang«, erinnerte sie ihn.
»Dann werde ich langsam fahren.«
Als Andrew vor Alisons Tür stand, empfing sie ihn in einem Morgenmantel. Das lange, frischgewaschene Haar fiel über ihre
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