Archer Jeffrey
Imbiß.
5
Freitag, 2. März 12 Uhr 30
Drei Männer waren eingetroffen. Keiner mochte den anderen. Nur das gemeinsame Band einer hohen Belohnung hatte sie zusammengeführt. Der erste wurde Tony genannt, doch er hatte so viele Namen, daß niemand den richtigen kannte, höchstens seine Mutter. Und seine Mutter hatte ihn in den letzten zwanzig Jahren, seit er Sizilien verlassen hatte, um seinem Vater in die Vereinigten Staaten zu folgen, nicht mehr gesehen. Der Vater hatte Italien wiederum zwanzig Jahre vor ihm verlassen, anscheinend eine Familientradition. Das FBI-Dossier beschrieb Tony als einen Meter siebzig groß, Gewicht siebzig Kilo, mittlere Statur, schwarzes Haar, gerade Nase, braune Augen, keine besonderen Kennzeichen, einmal verhaftet und in Verbindung mit einem Bankraub angeklagt; zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. In dem Dossier stand nicht, daß Tony ein brillanter Autofahrer war. Das hatte er gestern bewiesen, und wenn der Deutsche nicht den Kopf verloren hätte, wären hier jetzt vier Männer anwesend, nicht drei. Er hatte den Boß gewarnt. »Wenn Sie einen Deutschen engagieren wollen, dann lassen Sie ihn das Auto bauen, aber nicht lenken.« Der Boß hatte nicht auf ihn gehört, und nun hatte man den Deutschen aus dem Potomac gezogen. Das nächste Mal würden sie Tonys Vetter Mario einsetzen. Dann würde zumindest noch ein menschliches Wesen in ihrem Team sein; denn der ehemalige Polizist und der kleine Japaner, der nie den Mund aufmachte, zählten nicht.
Tony warf einen Blick auf Xan Tho Huc, der nie sprach, wenn man ihn nicht direkt fragte. Eigentlich war er Vietnamese, aber er war 1979 nach Japan geflüchtet. Hätte er an den Olympischen Spielen in Los Angeles teilgeno mmen, wäre sein Name weltbekannt geworden, denn er hä tte mit Sicherheit die eine oder andere Goldmedaille in den Schießbewerben gewonnen. Aber für die Karriere, die Xan im Sinn hatte, war es besser, unbekannt zu bleiben, und so zog er sich aus dem japanischen Olympiateam zurück. Sein Trainer versuchte vergeblich, ihn umzustimmen. Für Tony blieb Xan ein verdammter Japse, obwohl er widerwillig zugeben mußte, daß er niemanden kannte, der auf eine Entfernung von achthundert Metern zehn Schüsse in ein Quadrat von sieben Zentimetern Seitenlänge abgeben konnte. Genau die Größe von Florentyna Kanes Stirn.
Der Japaner saß unbeweglich da und starrte ihn an. Sein Aussehen half ihm bei der Arbeit. Niemand vermutete in dem kleinen schmächtigen Mann einen Schützen von Weltklasse. Die meisten Leute glauben immer noch, daß gute Schützen klobige Cowboys und stiernackige Weiße sein müßten. Hätte man jemandem gesagt, daß Xan ein unbarmherziger Mörder war, so hätte er eher angeno mmen, daß Xan mit seinen Händen, mit spanischen oder japanischen Würgeisen oder gar mit Gift arbeitete. Von den dreien war Xan der einzige, der eine persönliche Rechnung zu begleichen hatte. Als Kind in Vietnam hatte er mitansehen müssen, wie seine Eltern von den Amerikanern abgeschlachtet wurden – sie, die immer so freundlich von den Yankees gesprochen und sie unterstützt hatten, bis sie von ihren Kugeln durchsiebt wurden. Xan hatten die Soldaten liegen gelassen, sie hielten ihn für tot; ein zu unbedeutendes Ziel für ihre Gewehre. Von diesem Moment an hatte Xan sich in stummer Verzweiflung geschworen, seinen Verlust zu rächen. Er war nach Japan geflohen und hatte sich nach dem Fall von Saigon zwei Jahre lang im Untergrund gehalten, dann in einem chinesischen Restaurant gearbeitet und die Unterstützung des amerikanischen Hilfsprogramms für vietnamesische Flüchtlinge kassiert. Hierauf hatte er seinen alten Freunden vom vietnamesischen Geheimdienst seine Dienste angeboten. Doch die Amerikaner hatten sich aus Asien fast gänzlich zurückgezogen, und da die Kommunisten nun weniger Killer brauchten, dafür mehr Anwälte, hatte man bedauert, keine Arbeit für ihn zu haben. Also hatte Xan sich in Japan auf eigene Füße gestellt. 1974 erhielt er die japanische Staatsbürgerschaft und einen Paß und begann seine neue Laufbahn.
Anders als Tony, hatte Xan gegen seine Mitarbeiter nichts einzuwenden. Er dachte gar nicht über sie nach. Man hatte ihn angeworben, um eine große Aufgabe zu erfüllen, eine Aufgabe, für die er sehr gut bezahlt werden würde und durch die er die Ermordung seiner Eltern zumindest teilweise rächen konnte. Die anderen spielten untergeordnete Rollen bei der Unterstützung seiner Operation. Vorausgesetzt, sie begingen
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