Archer Jeffrey
Risiko steigert.« Su Ling wirkte nicht überzeugt. »Ich sage dir, was ich vorhabe«, erläuterte Nat. »Momentan bekomme ich als Captain der Armee 400 Dollar im Monat. Wenn ich dieses Geld ein Jahr im Voraus zum heutigen Kurs in Yen anlege und sie in zwölf Monaten zurücktausche und wenn der Wechselkurs sich in derselben Weise fortsetzt wie in den letzten sieben Jahren, dann mache ich einen Gewinn von vierhundert bis fünfhundert Dollar pro Jahr.«
»Und wenn sich die Kursentwicklung in die andere Richtung bewegt?«, fragte Su Ling.
»Das ist in den letzten sieben Jahren aber nicht der Fall gewesen.«
»Wenn aber doch?«
»Dann verliere ich vierhundert Dollar beziehungsweise das Geld eines Monats.«
»Ich hätte lieber jeden Monat einen festen Scheck.«
»Mit dem Geld, das man verdient, kann man sich niemals Kapital aufbauen«, dozierte Nat. »Die meisten Menschen leben weit über ihre Verhältnisse und legen ihr Geld höchstens in Lebensversicherungen oder Staatsanleihen an, die aber beide durch die Inflation im Wert sinken können. Frag meinen Vater.«
»Wozu brauchen wir denn all das Geld?«, fragte Su Ling.
»Für meine Herzensdamen«, erwiderte Nat.
»Und wo sind diese Herzensdamen?«
»Die meisten in Italien, aber ein paar andere hängen verstreut in den Hauptstädten dieser Welt.«
»Darum reisen wir also nach Venedig?«
»Und nach Florenz, Mailand und Rom. Als ich sie verließ, waren viele von ihnen nackt. Am meisten liebte ich an ihnen, dass sie nicht altern. Sie bekommen nur hin und wieder kleine Risse, wenn man sie zu viel Sonnenlicht aussetzt.«
»Glückliche Frauen«, meinte Su Ling. »Hast du auch eine Favoritin?«
»Nein, ich bin ziemlich promisk. Aber wenn man mich zwingen würde zu wählen, dann gäbe es eine Dame in Florenz, die in einem kleinen Palast residiert, den ich anbete. Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.«
»Ist sie zufällig noch Jungfrau?«, wollte Su Ling wissen. »Du bist ganz schön schlau«, lobte Nat.
»Und heißt sie zufällig Maria?«
»Du hast mich ertappt. Obwohl es natürlich viele Marias in Italien gibt.«
»Die Anbetung der Könige. Tintoretto.«
»Nein.«
»Bellini, Mutter und Kind?«
»Nein, die sind immer noch im Vatikan.«
Su Ling schwieg eine Weile, während die Stewardess sie aufforderte, sich anzuschnallen. »Caravaggio?«
»Sehr gut. Ich habe sie im Palazzo Pitti in der Galerie im dritten Stock an der rechten Wand zurückgelassen. Sie hat mir versprochen, mir bis zu meiner Rückkehr treu zu sein.«
»Und dort wird sie auch bleiben, denn solch eine Geliebte kostet dich mehr als vierhundert Dollar im Monat, und falls du immer noch gedenkst, in die Politik einzusteigen, dann wirst du dir nicht einmal den Rahmen leisten können.«
»Ich gehe erst in die Politik, wenn ich mir die gesamte Galerie leisten kann«, versicherte Nat seiner Frau.
*
Annie verstand allmählich, warum die Briten jene amerikanischen Touristen mit Verachtung straften, die es fertig brachten, London, Oxford, Blenheim und Stratford in drei Tagen abzuhaken. Sie erlebte mit, wie Busladungen voller Touristen in das Royal Shakespeare Theatre in Stratford strömten, ihre Plätze einnahmen, in der Pause verschwanden und gleich darauf von einer weiteren Busladung ihrer Landsleute ersetzt wurden. Annie hätte das nie für möglich gehalten, wenn sie nicht nach der Pause an ihren Platz zurückgekehrt wäre und in den beiden Reihen vor ihr lauter Leute mit vertrautem Akzent gesessen hätten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie fragte sich, ob jene, die dem zweiten Akt beiwohnten, jenen, die den ersten Akt gesehen hatten, erzählten, was mit Rosencrantz und Güldenstern passierte, oder ob die erste Busladung sich bereits auf der Rückfahrt nach London befand.
Annie fühlte sich etwas weniger schuldig, nachdem sie zehn Tage voller Muße in Schottland verbracht hatte. Sie genoss das Festival in Edinburgh, wo sie zwischen Marlowe und Mozart, zwischen Pinter und Orton wählen konnten. Der Höhepunkt der Reise war jedoch für beide die lange Fahrt an der Küste entlang. Die Landschaft war dermaßen atemberaubend, dass sie sich keine schönere Gegend auf der ganzen Welt vorstellen konnten.
In Edinburgh versuchten sie, die Stammbäume der Gates und der Davenports zu erforschen, aber sie bekamen nur eine große, bunte Karte der beiden Clans und einen Kilt im scheußlichen Davenport-Schottenkaro. Annie zweifelte, ob sie den Schottenrock zu Hause in den Staaten jemals wieder tragen würde.
Im
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