Archer Jeffrey
Fletcher eine Stunde mit drei weiteren Partnern, die sich auf sein Fachgebiet, das Strafrecht, spezialisiert hatten. Nach dem letzten Interview wurde er eingeladen, sich dem Rest des Vorstands zum Mittagessen anzuschließen. Er kam zum ersten Mal in Kontakt mit den anderen fünf Bewerbern und die Tischgespräche ließen in ihm keine Zweifel aufkommen, mit wem er es zu tun hatte. Er fragte sich insgeheim, wie viele Tage die Kanzlei für Gespräche mit anderen Bewerbern noch reserviert hatte.
Was er nicht wissen konnte, war, dass Alexander Dupont & Bell schon Monate, bevor einer der Kandidaten zum Gespräch eingeladen wurde, eine rigorose Aussiebung durchgeführt hatten. Fletcher hatte es in die Gruppe der letzten sechs geschafft, durch Empfehlung und durch seinen Ruf. Ihm war auch nicht klar, dass nur einem von ihnen, vielleicht zweien, eine Position in der Kanzlei angeboten würde. Wie bei gutem Wein gab es sogar Jahre, in denen keiner ausgewählt wurde, einfach weil die Auslese nicht erstklassig genug war.
Am Nachmittag folgten weitere Gespräche. Mittlerweile war Fletcher davon überzeugt, dass er es nicht schaffen würde und er sich bald auf den langen Weg durch all jene Kanzleien würde machen müssen, die auf seinen Brief geantwortet und ihm ein Bewerbungsgespräch angeboten hatten.
»Sie lassen mich bis Ende des Monats wissen, ob ich es in die nächste Runde geschafft habe«, erzählte er Annie, die ihn am Bahnhof abholte. »Versende ruhig weiter Briefe. Obwohl ich zugeben muss, dass ich eigentlich nirgendwo anders als in New York arbeiten will.«
Annie stellte Fletcher auf dem Heimweg unzählige Fragen, wollte in allen Einzelheiten wissen, was er erlebt hatte. Sie war gerührt, dass Bill Alexander sich an sie erinnerte.
»Vielleicht hättest du es ihm sagen sollen«, meinte Annie, als sie den Wagen vor ihrem Haus zum Stehen brachte.
»Ihm was sagen?«, fragte Fletcher.
»Dass ich wieder schwanger bin.«
*
Nat liebte das Gedränge und den Betrieb in Seoul, einer Stadt, die fest entschlossen war, alle Erinnerungen an den Krieg hinter sich zu lassen. Wolkenkratzer erhoben sich an jeder Ecke und Alt und Neu versuchten, harmonisch zusammenzuleben. Nat war beeindruckt von dem Potenzial an gebildeten, intelligenten Arbeitskräften, die von Löhnen lebten, welche nur ein Viertel von dem ausmachten, was man bei ihm zu Hause für akzeptabel halten würde. Su Ling fiel dagegen die unterwürfige Rolle auf, die Frauen in der koreanischen Gesellschaft immer noch einnahmen, und insgeheim dankte sie ihrer Mutter, dass sie den Mut und den Weitblick besessen hatte, sich nach Amerika aufzumachen.
Nat mietete einen Wagen, damit sie von Dorf zu Dorf fahren konnten. Kaum waren sie ein paar Meilen außerhalb der Hauptstadt, fiel ihnen sofort auf, wie rasch sich das Leben der Menschen änderte. Nach weiteren hundert Meilen hatten sie auch hundert Jahre in der Zeit zurückgelegt. Die modernen Wolkenkratzer wurden von kleinen Holzhütten ersetzt und das Gedränge von einem langsameren, bedächtigeren Tempo.
Obwohl ihre Mutter nur selten über ihre Kindheit in Korea gesprochen hatte, kannte Su Ling das Dorf, in dem sie geboren worden war – und auch ihren Familiennamen. Sie wusste auch, dass zwei ihrer Onkel im Krieg gefallen waren. Als sie daher in Kaping eintrafen – das laut ihrem Reiseführer 7303 Einwohner zählte –, hatte sie nicht viel Hoffnung, jemanden zu finden, der sich an ihre Mutter erinnerte.
Su Ling Cartwright begann ihre Suche im Gemeindehaus, wo ein Personenstandsregister aller Einwohner geführt wurde. Da half es auch nicht, dass von den siebentausend Bewohnern über tausend denselben Namen trugen: Peng – der Mädchenname von Su Lings Mutter. Doch auf dem Namensschild auf dem Schreibtisch der zuständigen Amtsleiterin stand ebenfalls Peng. Sie erzählte Su Ling, dass ihre Großtante, die über neunzig Lenze zählte, behauptete, jeden Zweig der Familie zu kennen, und wenn sie sie treffen wolle, lasse sich das arrangieren. Su Ling nickte zustimmend und wurde gebeten, im Laufe des Tages noch einmal vorbeizuschauen.
Als Su Ling am Nachmittag zurückkehrte, wurde ihr gesagt, dass Ku Sei Peng sie für den folgenden Tag zum Tee zu sich einlud. Die Amtsleiterin entschuldigte sich, bevor sie höflich erklärte, dass Su Lings amerikanischer Ehemann nicht willkommen wäre.
Su Ling kehrte am nächsten Abend in ihr kleines Hotel zurück, mit einem Zettel Papier und einem glücklichen Lächeln. »Jetzt sind wir den
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