Archer Jeffrey
gar nicht zu dir, daß du so wenig ißt, besonders da du doch deinen Lunch versäumt hast«, bemerkte Caroline, als wir an diesem Abend den Eßsaal verließen.
Ich ging nicht weiter darauf ein, als wir an dem an der Bar sitzenden Travers vorbeikamen, dessen Hand wieder einmal auf dem Knie einer nichtsahnenden Frau mittleren Alters ruhte.
Ich tat in jener Nacht nicht eine Sekunde lang ein Auge zu und stahl mich am nächsten Morgen kurz vor sechs behutsam aus dem Bett, um Caroline nicht zu wecken. Alles lag genau so auf dem Fußboden des Badezimmers, wie ich es am Abend davor hergerichtet hatte. Wenige Augenblicke später war ich angezogen und fertig. Ich nahm die Hintertreppe des Hotels und vermied auf diese Weise den Fahrstuhl. Dann schlich ich mich durch den »Notausgang« hinaus ins Freie, wobei mir zum erstenmal bewußt wurde, wie ein Dieb sich fühlen mußte. Ich trug eine Wollmütze, die ich tief über die Ohren gezogen hatte, und eine Schneebrille, die meine Augen verdeckte: Nicht einmal Caroline hätte mich so erkannt.
Ich kam bei der Talstation des Skilifts vierzig Minuten vor Betriebsbeginn an. Als ich allein hinter der kleinen Hütte stand, die die elektrischen Motoren beherbergte, wurde mir klar, daß jetzt alles davon abhing, ob Travers sich an seine morgendliche Routine halten würde. Ich bezweifelte, daß ich meinen Plan ausführen konnte, wenn er auf den nächsten Tag verschoben werden mußte. Ich wartete also, und um mich warm zu halten, stampfte ich mit den Füßen im frischgefallenen Schnee und schlug mit meinen Armen kreisförmig um mich. Alle paar Augenblicke lugte ich hinter der Ecke des Häuschens hervor, in der Hoffnung, ihn auf mich zukommen zu sehen. Endlich wurde am Fuße des Hügels, neben der Straße, ein kleiner schwarzer Punkt sichtbar. Auf der Schulter des Mannes ruhte ein Paar Skier. Was aber, wenn es nicht Travers war?
Ein paar Augenblicke später trat ich hinter der Hütte hervor und gesellte mich zu dem warm eingepackten Mann. Es war Travers, und er konnte, als er mich da stehen sah, seine Überraschung nicht verbergen. Ich begann das Gespräch mit ein paar beiläufigen Bemerkungen darüber, daß ich nicht hätte schlafen können und deswegen die Zeit nutzen und ein paar Abfahrten machen wolle, bevor der große Andrang beginne. Jetzt sei nur zu hoffen, daß der Skilift pünktlich in Betrieb gehen werde. Wenige Minuten vor sieben tauchte ein Maschinist auf und warf die Maschinen an.
Wir nahmen unsere Plätze auf den kleinen Sesseln ein und schwebten dann über die tiefe Schlucht hinweg gipfelwärts. Ich blickte immer wieder zurück, um mich zu vergewissern, daß noch immer niemand sonst zu sehen war.
»Normalerweise schaffe ich eine ganze Abfahrt, bevor ein zweiter eintrifft«, sagte Travers zu mir, als der Lift seinen höchsten Punkt erreicht hatte. Ich schaute erneut zurück, um mich zu überzeugen, daß wir mittlerweile außer Sichtweite des Maschinisten waren, der den Lift bediente. Dann blickte ich gut zweihundert Fuß hinunter und überlegte, wie es wohl wäre, wenn man mit dem Kopf zuerst unten in der Schlucht aufschlüge. Mir wurde schwindlig, und ich wünschte, ich hätte nicht hinuntergesehen.
Der Skilift bewegte sich ruckweise, aber langsam weiter, bis wir endlich die Bergstation erreicht hatten.
»Verflixt«, sagte ich, als wir von unseren kleinen Sitzen sprangen, »Marcel ist nicht hier.«
»Das ist er nie um diese Uhrzeit«, sagte Travers und wandte sich in die Richtung, wo der Abfahrtshang für die Fortgeschrittenen lag. »Für ihn ist es jetzt noch viel zu früh.«
»Sie hätten wohl nicht vielleicht Lust, mit mir hinunterzufahren?« rief ich Travers nach.
Er hielt an und sah sich argwöhnisch um.
»Caroline findet, ich wäre jetzt so weit, es Ihnen gleichzutun«, erklärte ich, »aber ich bin mir da nicht so ganz sicher und würde gern Ihre Meinung dazu hören. Ich habe ein paarmal meinen persönlichen Rekord auf der B-Piste gebrochen, aber ich möchte mich nicht vor meiner Frau lächerlich machen.«
»Nun, ich –«
»Ich würde mich an Marcel wenden, wenn er hier wäre. Und in jedem Fall sind Sie der beste Skiläufer, den ich kenne.«
»Nun, wenn Sie –«, begann er.
»Nur das eine Mal. Danach können Sie gern den Rest Ihrer Ferien auf der A-Abfahrt verbringen. Sie könnten das ja als Probelauf zum Aufwärmen ansehen.«
»Es wäre eine Abwechslung, schätze ich«, sagte er.
»Nur das eine Mal«, wiederholte ich. »Das ist alles, was ich brauche. Dann werden
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