Archer Jeffrey
zwei!« blaffte der Unteroffizier. »Und zieht euch an, sonst gibt’s Strafdienst!«
»Ich bin angezogen, Corp«, sagte Charlie.
»Mach mir bloß keinen Ärger, Jungchen, und sag nicht ›Corp‹ zu mir, sonst darfst du Latrinen putzen!«
Diese Drohung brachte sogar Tommy auf die Beine.
Am zweiten Vormittag wurden sie wieder bei heftigem Schneegestöber auf dem Exerzierplatz gedrillt, und diesmal blieb der Schnee liegen. Auch an diesem Mittag gab es nur Brot und Käse. Für den Nachmittag waren jedoch auf Kompaniebefehl »Sport und Erholung« vorgesehen. Das bedeutete, daß sie sich umziehen mußten, ehe sie im Gleichschritt zur anderen, nicht zweckentfremdeten Turnhalle liefen, wo Bodenturnen auf dem Plan stand, gefolgt von Boxunterricht.
Charlie, der inzwischen leichtes Mittelgewicht war, konnte es nicht erwarten, in den Ring zu steigen, während es Tommy gelang, sich den ganzen Nachmittag aus der Schußlinie herauszuhalten. Allerdings waren beide sich der bedrohlichen Anwesenheit Captain Trenthams bewußt, der offenbar nur herumstand und alle im Auge behielt. Nur einmal verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln und zwar, als er sah, wie einer k.o. geschlagen wurde. Und jedesmal, wenn sein Blick auf Tommy fiel, verfinsterte sich sein Gesicht.
»Ich ge’ör zur Spreu«, meinte Tommy später am Abend. »Und Trentham möcht’ eben gern die Spreu vom Weizen trennen«, erklärte er Charlie, der auf dem Bett lag und gegen die Zimmerdecke starrte.
»Kommen wir je aus diesem Loch raus, Corporal?« erkundigte sich Tommy, als der Unteroffizier vom Dienst kam, um die Gaslichter auszudrehen. »Wegen guter Führung oder so?«
»Am Samstag abend«, antwortete der Corporal. »Ausgang von achtzehn bis einundzwanzig Uhr. Da könnt ihr machen, was ihr wollt. Allerdings dürft ihr euch nicht weiter als drei Kilometer von der Kaserne entfernen, müßt euch benehmen, wie es sich für einen Royal Füsilier gehört, und euch nüchtern spätestens eine Minute vor einundzwanzig Uhr in der Wachstube zurückmelden. Und jetzt schlaft gut, ihr Helden.« Mit diesen Worten ging er umher und löschte die Lichter.
Als endlich Samstag abend war, versuchten zwei arg mitgenommene Soldaten mit geschwollenen Füßen und Muskelkater so weit in der Stadt herumzukommen, wie es sich in drei Stunden mit einem Gesamtvermögen von fünf Shilling machen ließ – was lange Überlegungen, in welche Pubs man gehen sollte, rasch zunichte machte.
Irgendwie gelang es Tommy, von jedem Wirt mehr Bier pro Penny zu bekommen, als Charlie je für möglich gehalten hätte, auch wenn er nicht verstehen konnte, was sie sagten, und auch selbst nicht verstanden wurde. In der letzten Kneipe, The Volunteer, verschwand Tommy sogar zwanzig Minuten lang mit einer Kellnerin durch die Hintertür.
»Was ‘ast du da draußen gemacht?« fragte Charlie.
»Was glaubst du wohl. Schwachkopf?«
»Aber du warst doch bloß zwanzig Minuten weg!«
»Reicht locker«, versicherte ihm Tommy. »Bloß Offiziere brauchen mehr als zwanzig Minuten dafür.«
In der Woche darauf erhielten sie ihre erste Lektion im Umgang mit dem Gewehr Außerdem mußten sie mit dem Bajonett üben und erhielten Unterricht im Kartenlesen.
Charlie beherrschte die Kunst des Kartenlesens in kürzester Zeit, und Tommy brauchte lediglich einen Tag, sich mit einem Gewehr vertraut zu machen. Schon in der dritten Übungsstunde konnte er es rascher auseinandernehmen und wieder zusammenbauen als der Ausbilder.
Am Mittwoch vormittag der zweiten Woche hielt Captain Trentham seine erste Unterrichtsstunde über die Geschichte der Royal Fusiliers. Charlie hätte sich für das Thema begeistern können, wenn Trentham nicht den Eindruck erweckt hätte, daß keiner von ihnen es wert war, demselben Regiment anzugehören wie er.
»Jene unter uns, die sich aufgrund historischer Bezüge oder familiärer Bindungen für die Royal Fusiliers entschieden haben, müssen zu Recht das Gefühl haben, daß es dem guten Ruf des Regiments nicht gerade zuträglich ist, wenn nun auch Kriminelle in unseren Reihen aufgenommen werden, nur weil wir uns im Krieg befinden.« Er blickte dabei Tommy direkt an.
»Eingebildeter Snob«, sagte Tommy gerade laut genug, daß es alle im Unterrichtssaal hören konnten außer dem Captain.
Am Donnerstag nachmittag erschien Captain Trentham wieder im Turnsaal, aber diesmal hatte er sein Offiziersstöckchen nicht dabei, sondern kam ganz sportlich daher in weißem Turnhemd und dunkelblauer Turnhose. Die neue Aufmachung war
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