Archer Jeffrey
Hammersmith nach Whitechapel; den Rest des Weges zu Charlies Haus ging ich zu Fuß.
Am Haus mit der Nummer 112 hämmerte ich mit der Faust gegen die Tür und wartete – ich erinnere mich, daß ich mich wunderte, wieso die Trumpers keinen Türklopfer hatten. Endlich öffnete eine dieser schrecklichen Schwestern; ich war mir nicht sicher, welche. Ich sagte ihr, daß ich mit Charlie sprechen müsse, und wunderte mich nicht, daß sie mich einfach vor der Tür stehenließ, während sie wieder im Haus verschwand. Ein paar Minuten später kam sie zurück und führte mich, etwas widerwillig, in das hintere Zimmer.
Als ich es zwanzig Minuten später verließ, hatte ich das Gefühl, bei diesem Geschäft nicht gerade das Beste für mich herausgeholt zu haben, doch da fiel mir wieder einer von Vaters Sprüchen ein: »Ein schnorrer hat keine Wahl.«
Am nächsten Abend schrieb ich mich für einen Buchführungskurs als zusätzliches Wahlfach ein. Dieser Unterricht wurde am Abend abgehalten, bis dahin hatte ich meine regulären Schularbeiten erledigt. Anfangs fand ich das Fach langweilig, doch im Lauf der Wochen faszinierte es mich immer mehr, wie sich finanzielle Transaktionen selbst bei einem so kleinen Geschäft wie dem unseren günstig auswirken konnten. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wieviel Geld sich sparen ließ, wenn man wußte, was alles steuerlich absetzbar war. Nur befürchtete ich, daß Charlie überhaupt nie Steuern bezahlt hatte.
Mit der Zeit machten mir meine wöchentlichen Besuche in Whitechapel sogar Spaß, weil ich dort die Chance hatte, mit meinen neuerworbenen Fähigkeiten anzugeben. Obgleich ich weiterhin entschlossen war, die geschäftliche Zusammenarbeit mit Charlie zu beenden, sobald ich einen Studienplatz an der Universität bekommen hatte, war ich nach wie vor überzeugt, daß Charlies Energie und Ehrgeiz, zusammen mit meinen vielleicht etwas theoretischen finanziellen Kenntnissen meinen Vater und Charlies Großvater beeindruckt hätten.
Als es allmählich so weit war, daß ich mich auf meine Immatrikulation konzentrieren mußte, beschloß ich, Charlie die Möglichkeit zu geben, mir meinen Anteil abzukaufen, ja besorgte sogar einen ausgebildeten Buchhalter, der die Buchführung an meiner Stelle übernehmen sollte. Doch wieder machten mir diese Deutschen einen Strich durch die Rechnung.
Diesmal brachten sie Charlies Vater um, was ein dummer Fehler war, weil es doch nur Charlie dazu brachte, sich freiwillig zu melden und höchsteigenhändig gegen die ganze Meute zu kämpfen. Es war typisch für ihn, daß er seinen Entschluß mit niemandem besprach. In seinem gräßlichen Zweireiher, der lächerlichen Baskenmütze und einer schreiend grünen Krawatte marschierte er mit der Last des ganzen Empires auf den Schultern nach Great Scotland Yard, und ich konnte sehen, wie ich zurechtkam. Kein Wunder, daß ich im Lauf des nächsten Jahres so abnahm; meine Mutter sah darin die gerechte Strafe für meine Dummheit, mich mit einem wie Charlie Trumper einzulassen.
Um es mir noch schwerer zu machen, bot man mir, ausgerechnet ein paar Tage nachdem Charlie in den Zug nach Edinburgh gestiegen war, einen Studienplatz an der Universität von London an.
Charlie hatte mir nur zwei Möglichkeiten gelassen: Ich konnte versuchen, die Bäckerei allein zu führen und mein Studium an den Nagel zu hängen oder an den Meistbietenden zu verkaufen. Er hatte mir in seinem kurzen Abschiedsbrief geschrieben, daß ich verkaufen sollte, wenn es nicht anders ging; also entschied ich mich dafür. Aber obwohl ich viele Stunden im East End umherrannte, fand ich nur einen Interessenten: Mr. Cohen, der seit einigen Jahren seine Schneiderei über Vaters Bäckerei betrieb und sich vergrößern wollte. Er machte mir ein unter den gegebenen Umständen faires Angebot, und ich bekam sogar zusätzliche zwei Pfund von einem Straßenhändler für Charlies große Karre. Doch so sehr ich mich auch bemühte, für Großvater Charlies gräßliches altes Relikt fand ich keinen Abnehmer.
Ich legte das gesamte eingenommene Geld sogleich bei einer Bausparkasse auf ein Jahr fest an, wodurch es vier Prozent Zinsen einbringen würde. Ich hatte nicht die Absicht, es anzurühren, bevor Charlie Trumper ins East End zurückkehrte, doch etwa fünf Monate später besuchte mich Kitty Trumper bei meiner Tante in Romford. Sie war in Tränen aufgelöst und erzählte mir, daß Charlie an der Westfront gefallen sei. Sie fügte hinzu, sie wisse nicht, was aus der Familie
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