Archer Jeffrey
hatte die ganze Nacht nicht geschlafen,
nachdem sie von Guys dreijähriger Stationierung erfahren
hatte, und es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie etwas, das auch
ihre Zukunft betraf, aus seinem Mund erfahren hätte und nicht
von Daphne.
Bisher hatte Becky sich klaglos damit abgefunden, daß sie
Guy aufgrund seiner Pflichten beim Regiment nicht regelmäßig
sehen konnte; doch je näher der Abschied rückte, desto
unglücklicher wurde sie über seine Wachteinteilung,
Nachtübungen und vor allem über die häufigen
Wochenendeinsätze, an denen er teilnehmen mußte.
Sie hatte befürchtet, daß Guys Aufmerksamkeiten nach
ihrem schrecklichen Besuch in Ashurst Hall nachlassen
würden, aber er wurde im Gegenteil noch stürmischer und
betonte immer wieder, wie anders alles werden würde, wenn
sie erst verheiratet waren.
Wie im Flug wurden aus den Monaten Wochen, aus den
Wochen Tage, und mit einemmal war der auf Beckys Kalender
rot umringte 3. Februar 1920 da.
»Gehen wir zum Dinner ins Cafe Royal, wo wir an unserem
ersten gemeinsamen Abend waren«, schlug Guy an dem
Montag vor seiner Abreise vor.
»Nein«, wehrte Becky ab. »Ich möchte dich an unserem
letzten Abend nicht mit hundert anderen teilen müssen.« Sie zögerte und fuhr fort: »Wenn du mit meinen Kochkünsten vorliebnehmen würdest, könnten wir in der Wohnung zu
Abend essen, da wären wir wenigstens unter uns.«
Guy lächelte.
Jetzt, da der Laden gut lief, hörte Becky auf, sich dort jeden
lag sehen zu lassen, warf jedoch immer einen Blick durchs
Fenster, wenn sie daran vorbeikam. Sie wunderte sich, als
Charlie an diesem Montag nicht wie sonst hinter dem
Ladentisch stand.
»Hier bin ich!« hörte sie eine Stimme. Als sie sich
umdrehte, sah sie, daß Charlie auf der Bank auf der
gegenüberliegenden Straßenseite saß, wo sie ihn am Tag seiner
Heimkehr entdeckt hatte. Sie überquerte die Straße und setzte
sich neben ihn.
»Was soll das? Willst du schon in den Ruhestand gehen,
noch bevor wir das Darlehen zurückbezahlt haben?« »Ganz sicher nicht. Ich arbeite.«
»Du arbeitest? Bitte erklären Sie, Mr. Trumper, wieso es
Arbeit ist, wenn Sie an einem Montag morgen auf einer
Parkbank herumsitzen.«
»Henry Ford hat uns gelehrt, daß jeder Minute des Handelns
eine Stunde des Überlegens vorhergehen sollte«, dozierte
Charlie mit nur noch einer Spur seines Cockneyakzents; Becky
war auch nicht entgangen, daß er das H jetzt deutlich
aussprach.
»Und wohin führt dich dieses von Ford angeregte
Überlegen?« fragte sie.
»Zu der Reihe von Geschäften da drüben.«
»Zu allen?« Becky blickte auf die Ladenzeile. »Und darf ich
fragen, zu welchem Ergebnis Mr. Ford gekommen wäre, säße
er an deiner Statt auf dieser Bank?«
»Daß sie sechsunddreißig verschiedene Arten darstellen,
Geld zu verdienen.«
»Ich habe die Läden nie gezählt, aber ich glaube es dir.« »Und was siehst du noch, wenn du hinüberschaust?« Beckys Blick kehrte zur Chelsea Terrace zurück. »Viele
Passanten, vor allem Damen mit Sonnenschirmen,
Kindermädchen, die ihre Pflegebefohlenen ausfahren, aber
auch ein paar Kinder, die Seilhüpfen und Reifen treiben.« Sie
machte eine Pause. »Wieso, was siehst du?«
»Zwei Schilder, auf denen ›Zu Verkaufen‹ steht.« »Ich gebe zu, daß sie mir nicht aufgefallen sind.« Becky
blickte erneut über die Straße.
»Das kommt daher, daß du es mit anderen Augen siehst«,
erklärte Charlie. »Also, da ist zuerst einmal die Metzgerei von
Kendrick. Nun, wir wissen, warum er verkauft, nicht wahr?
Herzanfall, sein Arzt hat ihm geraten, nicht mehr zu arbeiten,
wenn er noch länger leben möchte.«
»Und das andere ist Mr. Rutherfords Laden«, stellte Becky
fest, als sie das zweite Schild entdeckt hatte.
»Der Antiquitätenhändler. O ja, der liebe Julian möchte
verkaufen, um Partner seines Freundes in New York zu
werden, wo die Gesetze etwas toleranter sind, wenn es um
seine besondere Affinität geht – gefällt dir das Wort?« »Woher weißt du das alles?«
»Information«, sagte Charlie und tippte sich an die Nase,
»ist ein Muß bei jedem Geschäft.«
»Noch ein Fordsches Prinzip?«
»Nicht ganz so weit hergeholt. Ein Daphne HarcourtBrownsches«, entgegnete Charlie.
Becky lächelte. »Also, was hast du vor?«
»Ich werde beide Geschäfte bekommen.«
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Daß du mir dabei hilfst.«
»Ist das dein Ernst, Charlie Trumper?«
»Hab’ nie was ernster gemeint.« Charlie blickte sie an.
»Warum sollte es in der Chelsea Terrace anders
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